Mark Roseman, geboren 1958 in London, ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität von Southampton.
Für die englische Originalausgabe "The Past In Hiding" von "In einem unbewachten Augenblick" bekam er eine Reihe bedeutender Preise, darunter 2000 den Fraenke Prize für das beste historische Werk, der von der Wiener Library, London vergeben wird und 2001 den Wingate Prize für das beste Sachbuch. "The Past In Hiding" wurde außerdem 2000 als Book of the Year vom Sunday Telegraph und Observer vorgeschlagen. Mark Roseman gewann außerdem zahlreiche Stipendien, u.a. für ausgedehnte Recherchereisen in Deutschland. Als Publizist und Wissenschaftler arbeitet er seit Jahren im Bereich der Quellenforschung und analysiert den Stand der historischen Forschung zur NS-Bürokratie, wie unter anderem in seiner Publikation zur Wannsee-Konferenz.
Preisträger 2003
Mark Roseman
In einem unbewachten Augenblick
Eine Frau überlebt im Untergrund
aus dem Englischen von Astrid Becker
Aufbau-Verlag
Berlin 2002
ISBN: 3-351-02531-9
Autor
Begründung der Jury
„Mark Roseman macht in seinem Buch ’In einem unbewachten Augenblick’ in exemplarischer Weise deutlich, dass es couragierten Deutschen auch im nationalsozialistischen Terrorsystem möglich war, Verfolgten beizustehen, die ohne fremde Hilfe trotz heldenhaften eigenen Widerstandes nicht überlebt hätten. Damit erinnert er an das Vermächtnis der Geschwister Scholl, in deren Namen der Preis verliehen wird.
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Das Buch erzählt die Geschichte der 1923 geborenen deutschen Jüdin Marianne Strauß aus Essen, die im August 1943 unmittelbar vor der Deportation ihrer Eltern und ihres Bruders durch die Gestapo untertauchte. Selbst der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgeliefert, brachte Marianne Strauß schon vor diesem Schritt ins Ungewisse große Zivilcourage auf. Sie half anderen, etwa ihrem bereits in den Osten deportierten Verlobten und dessen Familie. Doch nicht allein ihrem ungewöhnlichen Mut und Einfallsreichtum ist es zu danken, dass Marianne Strauß den Nationalsozialismus im Untergrund überlebte. Sie fand Helfer, vor allem immer wieder Unterschlupf bei zahlreichen Mitgliedern der von Artur Jacobs begründeten Organisation: "Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben", deren Wirken Mark Roseman erstmals ausführlich darstellt.
Die Familie von Marianne Strauß, ihr Verlobter und dessen Familie wurden ermordet, ihre Hoffnungen auf einen Neubeginn in Deutschland enttäuscht. Marianne Strauß ging 1946 nach Großbritannien, heiratete einen britischen Offizier und führte ein unauffälliges Leben als Ehefrau und Mutter. Ihre außergewöhnliche Geschichte, festgehalten in einer großen Fülle von Tagebüchern, Briefen und Dokumenten, blieb ein halbes Jahrhundert unerzählt. Mark Roseman hat Marianne Strauß-Ellenbogen bis zu ihrem Tode 1996 beharrlich und einfühlsam motiviert, erste wichtige Stationen ihres Lebens freizugeben. Nach ihrem Tod hat er – mit Hilfe und Einwilligung des Sohnes – ihre Biographie in detektivischer Recherche Schicht um Schicht freigelegt und vermittelt sie mit überzeugender erzählerischer Intensität.
Marianne Strauß hatte sich auf diese schmerzliche Konfrontation mit der Erinnerung nur deshalb eingelassen, um ihren bis heute unbekannten Helfern ein Denkmal zu setzen: Es gab Deutsche, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt hatten und die deshalb Möglichkeiten suchten und fanden, verfolgten jüdischen Bürgern zu helfen.“
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Verleihung
Am 24. November 2003 nahm Mark Roseman in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München den Preis entgegen. Oberbürgermeister Christian Ude und Rosemarie von dem Knesebeck, Vorsitzende des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern e.V., überreichten als Stellvertreter der Stifter die Urkunde.
Die Laudatio hielt der Regisseur, Schriftsteller und Schauspieler Imo Moszkowicz.
Ansprache von Rosemarie von dem Knesebeck
Magnifizenz, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Professor Roseman, sehr geehrter Herr Moszkowicz, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Der Grundstein ist gelegt. Jüdisches Leben in München soll wieder ins Stadtbild integriert werden und damit an Normalität zurückgewinnen. Die glücklicherweise rechtzeitig aufgedeckten Pläne von Neo-Nazis, die Grundsteinlegung des Jüdischen Gemeindezentrums mit einem Blutbad enden zu lassen, waren ein Fanal. Es verhallte.
Pöbel und Politik: Der Bundestagsabgeordnete Martin H. prägte das Unwort vom „Tätervolk“ der Juden, ein Bundesgeneral applaudiert öffentlich. Sprache als Sprengstoff - Worte als Dumdum-Geschosse. Was damit zerstört wird, ist genau jene Normalität, auf die wir mit dem Neubau des Jüdischen Gemeindezentrums alle hoffen
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Der Pöbel ist vorübergehend in Gewahrsam, der General bezieht Pension und der Politiker wird aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen. Wachsamkeit gegenüber Sprache ist notwendig und muss Konsequenzen haben.
Warum neigt man in diesem Land mehr und mehr dazu, Sprache geringzuschätzen, das gesprochene wie das geschriebene Wort zu mißachten? Glauben wir nur noch an die Macht der Bilder? Unzählige Talkshows haben zu einer Inflation der Wörter geführt. Man läßt reden und schaut zu. Dies birgt die Gefahr, auch irgendwann denken zu lassen, anstatt sich selbst mit der Gegenwart und mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen.
Fast vergessen ist heute, daß Bayerns erster Ministerpräsident von Beruf Schriftsteller war. Er, der den Grundstein für den Freistaat Bayern gelegt hat, wurde von einem Rechtsradikalen auf offener Straße erschossen. Graf Arco hatte Kurt Eisner beim Wort genommen. Das war 1919. Warum gilt 2003 das Wort vom „Tätervolk“ nicht als Waffe, deren Munition an unzähligen deutschen Stammtischen, in Sportheimen und Kantinen nur darauf wartet, geladen zu werden?
Schönhuber, Haider und Schill schwangen ihre populistischen Reden zu einer Zeit, als die heutige Krise in Wirtschaft und Politik nur wenigen bewußt war. Der Deutsche Michel war satt, jetzt hat er Angst. Das ist gefährlich. Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus drohen, ein weiteres Mal in Deutschland gesellschaftsfähig zu werden. Dem muß jeder Einzelne von uns, dem müssen wir im Namen von Hans und Sophie Scholl entgegentreten. Ungeachtet unterschiedlicher Religionen, verbindet uns alle in diesem Saal ein Glaube – der Glaube an die aufklärerische Kraft des Wortes.
Dieser Glaube war es auch, der unseren diesjährigen Preisträger Mark Roseman, das Leben einer mutigen Frau, das Leben der jungen Jüdin Marianne Strauß, anhand von Gesprächen, Briefen und Archivalien erzählen ließ: „In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Untergrund.“ Das schreit nach Bühne, schreit nach Zelluloid. Stoff für George Tabori, Stoff für Margarethe von Trotta und auch für unseren Laudator Imo Moszkowicz. Doch der britische Historiker Mark Roseman schrieb kein Drehbuch, kein Filmszenario, sondern ein Buch - ein Buch mit knapp 600 Seiten. Roseman baut auf die Sprache, setzt auf Sprachbilder, um Historie anschaulich zu machen. Dabei liest sich eine seiner Zwischenüberschriften wie das Motto zu Rosemans Lebensbild der Marianne Strauß: „Vernunft und Gefühl“. Diese Mischung aus Hirn und Herz ließ seine Protagonistin vom Untergrund aus dem Staatsterror der Nazis Widerstand entgegensetzen. Auf einer Ebene erzählt unser Preisträger von der Verhaftung der Familie, vom „unbewachten Augenblick“, der die junge Jüdin untertauchen und überleben lässt; auf einer zweiten Ebene reflektiert Roseman seine Quellen - mündlich Überliefertes und Schriftstücke. Vernunft und Gefühl leiteten auch sein Erkenntnisinteresse: Wie verändert sich ein Mensch, der im Untergrund einem totalitären System trotzt?
Gerade die leidenschaftliche Subjektivität des Geschichtsprofessors Roseman objektiviert beispielhaft seine Lebensgeschichte einer couragierten Frau. Mündliche Aussagen und Dokumente konfrontierend, wird er zum Interpreten von Geschichte. Sein heute prämiertes, im Aufbau-Verlag erschienenes Buch „In einem unbewachten Augenblick“ ist mehr als eine weitere Veröffentlichung zum Thema Holocaust: Es reflektiert Sprache und interpretiert sprachlich ein Kapitel europäischer Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aber – es reflektiert auch die Geschichte von Erinnern und Vergessen. Und noch mehr, es enthüllt im Kleinen wie schon Victor Klemperers Tagebücher „die Komplexität der Beziehungen Deutschlands zu seinen Juden“, wie Roseman in seinem Vorwort aufzeigt.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich über die diesjährige Entscheidung der Jury besonders glücklich bin. Ausgezeichnet wird mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2003 nicht nur eine historische Dokumentation, sondern auch ein sprachliches Kunstwerk, das auf das Medium Buch vertraut.
Das Buch als Medium ist gefährdet. Vorüber sind die Jahre enthusiastischer Neugründungen von Zeitschriften- und Buchverlagen, vorbei die Zeiten, als in Berliner Kneipen die Tür aufging und Studenten Raubkopien von Büchern angeboten haben. Wir haben als Verband diesen Betrug an Autoren, Buchhändlern und Verlegern stets bekämpft, bezeichnend ist jedoch, daß er sich längst ins Internet verlagert hat. Ein Buch aber wie Mark Rosemans „In einem unbewachten Augenblick“ läßt sich nicht einfach „ins Netz“ stellen und „runterladen“. Was hier an „Vernunft und Gefühl“ der Marianne Strauß formuliert wurde, paßt nicht auf den Monitor, sondern verlangt nach den Seiten eines Buches – will „begriffen“ sein.
Im Jahr 1980 wollte der Verband Bayerischer Verlage und Buchhandlungen sein hundertjähriges Bestehen mit einem neuen Literaturpreis feiern. Gemeinsam mit der Landeshauptstadt München wird seitdem jährlich der Geschwister-Scholl-Preis vergeben. Es ist ein Buch-Preis für Schöne Literatur, von der Lyrik bis zum Essay, aber auch ein Preis an Autorinnen und Autoren von Sachbüchern. Dabei spricht es für Mark Rosemans Buch, daß es „grenzüberschreitend“ zwischen Schöner Literatur und Sachbuch steht. Vor allem aber entspricht es ganz und gar den inhaltlichen Vorgaben unseres Preises, an das Vermächtnis der Geschwister Scholl zu erinnern, geistig unabhängig und geeignet zu sein, „moralischen, intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewußtsein wichtige Impulse zu geben.“
„Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern“, so der neue Name unseres Verbandes, und die Stadt München haben mit dem Geschwister-Scholl-Preis einen weltweit einzigartigen Preis ins Leben gerufen. Wir verdanken es den Preisträgern der letzten zwanzig Jahre, daß dieser politisch gedachte Buch-Preis in der Menge vorrangig literarisch ausgerichteter Ehrungen zugleich zu einem der angesehensten deutschen Literaturpreise geworden ist. Daß dazu auch der Geschwister-Scholl-Preis 2003 beitragen wird, verdanken wir Mark Rosemans „The Past in Hiding“, aber auch seiner Übersetzerin Astrid Becker, die das englische Original in bestes Deutsch übertragen hat. „In einem unbewachten Augenblick“ – Schöne Literatur und Sachbuch in einem – fordert und fördert als sprachliches Kunstwerk den „moralischen“ und „intellektuellen Mut“, den wir für die Zukunft brauchen, um uns Abgeordneten wie Martin H. zu widersetzen.
Das erste Buch von Erich Fried trägt den Titel „They fight in the dark“ und erzählt vom Widerstand junger Österreicher in Großbritannien. Einer dieser jugendlichen Antifaschisten war Erich Fried selbst. In seinen ersten Gedichtband schrieb er deshalb die Widmung „Kunst und Menschlichkeit helfen viel überwinden – vielleicht. London 1944“.
Es gibt keine Gewißheit, daß Kunst und Menschlichkeit helfen, viel zu überwinden. Ein Zweifel bleibt, doch die Hoffnung ist stärker und deshalb danke ich im Namen des „Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern“ Herrn Professor Roseman für „In einem unbewachten Augenblick“ und gratuliere ihm zum Geschwister-Scholl-Preis 2003.
Rosemarie von dem Knesebeck, München 24.11.2003
Es gilt das gesprochene Wort.
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Laudatio von Imo Moszkowicz
Lieber Mark Roseman,
im August 1997 schrieben Sie mir, dass sich herausgestellt habe, dass mein Leben einige verblüffende Querverbindungen mit dem Leben von Frau Ellenbogen aufweist, und dass Sie hoffen, dass mich ein paar Fragen dazu nicht zu sehr belästigen.
Marianne Ellenbogen kannte ich nur unter dem Namen Marianne Strauß, und es ist mir sicherlich gestattet, dass ich mich in meiner Laudatio an diesen Namen halte und lediglich anmerke, dass die Namensgleichheit zur einstigen bayrischen Landesmutter nur eine rein zufällige ist.
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Noch eine Querverbindung gibt es, schrieben Sie mir: Marianne ist 1943, als die Familie schließlich doch abgeholt wurde, in den Untergrund gegangen und wurde durch eine wenig bekannte Gruppe geschützt, die sich DER BUND nannte. Über diese Gruppe lernte Marianne Hanna Jordan kennen, die ebenfalls für eine Zeitlang von Angehörigen dieser Gruppe versteckt worden war.
Diese Hannah Jordan ( auch an den Münchener Staatstheatern keine Unbekannte ) ist - über Jahrzehnte hin - meine Bühnen- und Kostümbildnerin gewesen.
Sie befragten Hannah, befragten mich, sowie ca. 40 andere, die Marianne Strauß kannten, bereisten spurensuchend nahezu die ganze Welt.
Mich zogen Sie mit Ihren Fragen in eine Zeit zurück, zu der ich mich nicht mehr äußern wollte, denn ich hatte mir souffliert, dass die Welt mittlerweile genug von der Unbegreiflichkeit der Jahre zwischen 1933 und 45 weiß, und dass es nicht angehen kann, dass diese Schrecklichkeit, die mir meine Mutter und sechs Geschwister und meine Jugend weggerissen hat, jetzt, da mein letztes Jahrzehnt eingeläutet ist, durch eine erinnernde Rückkehr mich auch dieser Jahre beraubt. Denn: Erinnerung ist nicht nur das Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann – wie ein mir zu weiser Rabbi tröstend behauptet - sie ist zugleich auch die allerquälendste Hölle. Mein Vorsatz vor keinem Mikrophon, keiner Kamera, keinem Bleistift mehr mich in diese Vergangenheit zurückziehen zu lassen, war schon aus einem einzigen Grund nicht haltbar: Wir, die Opfer, dürfen niemals aufhören das hohe Lied derjenigen zu singen, die in unserem Lande die Kühnheit hatten ihre Mitmenschlichkeit zu bewahren.
Sie schrieben mit detektivischer Akribie die - wie eine Räuberpistole anmutende - Geschichte der Marianne Strauss, malten zugleich ein Zeitbild genauester Art. Immer begleitete Sie die Sorge, dass Ihr Buch niemals wird zu Ende geschrieben werden, und es war unfertig, als Marianne Strauß im Dezember 96 verstarb. Und doch wurde dieses beachtliche Buch daraus, weil Sie, wie Sie schreiben, ein Stück Geschichte zu Papier bringen wollten, die schmerzliche Geschichte von Erinnern und Vergessen.
Und Sie taten das mit bewundernswerter Genauigkeit, setzen aus den oftmals blassen Steinchen des Erinnerns ein zeitliches Mosaik zusammen, das selbst demjenigen der das Glück hatte diese Zeit nicht miterlebt haben zu müssen, ein unverzerrtes Bild vermittelt.
Dafür werden Sie heute mit dem GESCHWISTER SCHOLL-PREIS geehrt, weil Ihr Buch - im weitesten und wohl auch naheliegendsten! - Sinn an das Vermächtnis der Geschwister Scholl und all derer gemahnt, die für ihre unbeugsame Haltung ihre Leben lassen mussten.
Hatte Sie nicht der Holocaust und das schreckliche Mysterium, das ihn umgab, Historiker werden lassen?
Sie sind in London geboren, in Leeds als Sohn reformierter jüdischer Eltern aufgewachsen, und wie man so sagt: bürgerlicher Herkunft. Sie promovierten an der Universität Warwick. Ihre Mutter hatte es mit einem Preisstipendium zum Studium nach Oxford gebracht, Ihr Vater, ein studierter Naturwissenschaftler, unterrichtet an der Uni Logistik. Ihre Eltern leben in Bournemouth, an der Südküste, weil das der einzige Ort in Großbritannien mit vernünftigem Wetter sei, wie Sie anmerken, Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder lebt im entfernten Kanada. Sie haben drei Kinder, sind seit 1990 geschieden, und ziehen bald (wie sie mir anvertrauten) der Liebe wegen in die Staaten.
Mit einem 'Gut Glück auf den weiteren Liebes- und Lebensweg’ verbindet sich der Dank dafür, dass sie die schwere Bürde, die durch die Vergangenheit immer noch auf der Gegenwart lastet, und wohl für eine lange Zukunft lasten wird, mit dem Schicksal der großartigen Marianne Strauß, deren Charme (wie Sie schreiben) eine 'stahlharte Kante’ hatte, exemplifizierten.
Erlauben Sie mir, es das Anne-Frank-Syndrom zu nennen, deren Einzelschicksal für viele erst ein Erkennen der Zeit ermöglichte, denn Millionen Gemordete sind eine abstrakte Zahl, die sich der Vorstellungskraft entzieht. Anne Frank hat nicht überleben dürfen, Mariannes Überleben beruht auf den noch aufrecht erhaltenen, menschlichen Beziehungen zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Welt.
Sie machen klar, dass Marianne ihre jüdische Identität – wie bei so vielen anderen – ihr erst durch die Nürnberger Gesetze aufgedrängt wurde; dieses aufgezwungene Jüdischsein war ihr Schicksal und Bürde.
Sie, Mark, kamen, von dieser Bürde unbelastet, 1982, vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanziert, nach Essen, um für Ihre Promotion an der Universität Cambridge eine Arbeit über die Bergarbeiter an der Ruhr zu schreiben. Sie wurden sofort Mitglied der damals noch winzigen Jüdischen Gemeinde, denn mit wenigen Ausnahmen, zu denen auch ich gehörte, waren die Essener Juden aus der Vorkriegszeit nur noch als Geister zugegen, deren Namen in Grabsteine gemeißelt oder auf Gedenktafeln des jüdischen Friedhofs eingraviert zu finden sind.
Dr. Jamin vom Ruhrlandmuseum bat Sie, ein Interview mit der Essenerin Marianne Ellenbogen, geborene Strauß, die derzeit in Liverpool lebte, zu machen. Sie hatte einen bemerkenswerten Artikel über 'Flucht und illegales Leben während der Nazi-Verfolgungsjahre 1943-45’ geschrieben.
Daraus entstand ein Sog, ein Buch über ihr Schicksal zu machen, und so schrieben Sie IN EINEM UNBEWACHTEN AUGENBLICK, gefördert von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung.
Ihr Buch wollten Sie unbedingt zuerst in deutscher Sprache verlegt wissen und Astrid Becker gelang eine bewundernswerte Übersetzung. Inzwischen ist es auch unter dem Titel A PAST IN HIDING in englischer, und unter dem Titel IL PASSATO NASCOSTO in italienischer Sprache erschienen.
Die heutige Auszeichnung gesellt sich zu dem Fraenkel-Preis, den die Wiener Library, London, Ihnen im Jahr 2000 verlieh, dem 'Wingate Literary Prize 2001’ und dem Lucas Prize Project Mark Lynton, 2002.
Nachdem ich Ihr Buch gierig verschlungen hatte, schrieb ich Ihnen: „Welch’ tiefverknüpften Teppich haben Sie, Mark, mit Ihrem grandiosen Buch über Marianne Strauß für alle Zeiten gewoben! Mit tränennassen Augen habe ich soeben (heute ist der Tag der Shoah in Israel) das meisterhaft geschriebene Werk zu Ende gelesen, das mich - partiell - das Verfolgtsein noch einmal durchleben ließ.
Mit schmerzhafter Intensität ruft ihr Buch diese unbegreifbare Zeit zurück, sagt mir vieles, das in meiner Erinnerung immer nach Konturen suchte und jetzt wieder greifbar nah geworden ist. Ihr Dokument einer Judenverfolgung, das die jahrtausendalte Liste um einen weiteren mörderischen Gewaltbericht verlängert, lässt mich die auf dem Foto so wissend lächelnde Marianne fragen: ’Ist es nicht schrecklich ein Jude zu sein?’ Und antwortet sie nicht, dass es zumindest unmenschlich ist dafür unentwegt (!) durch eine Hölle des Leidens zu müssen? Ich umarme Sie!“ So endet meine mail.
Der GESCHWISTER SCHOLL-PREIS wird Ihnen heute in einem Raum übergeben, in dem lebenshungrige Menschen - wie Machiavelli sagt - "der Verzweiflung, die jeden Irrweg aus einem Labyrinth geht und Mittel findet, auf die man durch freie Willensäußerung nicht kommt" Ausdruck gaben.
War es nicht diese Verzweiflung, die die Namensgeber dieses Preises in den Tod getrieben hat?
Die Hoffnung, dass durch ihre mutige Tat ein rasches Ende des Schreckens herbeigeführt werden könnte, war doch längst schon im brutalen Reich von Macht und Gewalt in ihren ekligen Morast abgesunken. Dennoch taten sie, was ihnen ihre moralische Verpflichtung, ihr Glaube, zu tun befahl, und folgten einem Zwang, der in jener Zeit irrational (also verstandesmäßig nicht fassbar, vernunftwidrig, unberechenbar) war. Sie taten was sie getan, damit nicht "Gewissen Feige aus uns allen macht!"– wie Hamlet sagt.
Helden? Nein auch sie nicht!
Wie es auch die vom Essener BUND nicht waren und wohl auch niemals sein wollten. Der von Artur Jacobs gegründete BUND bezog sich auf die Normen und Werte der Linken aus der Weimarer Zeit. Und es ist bewundernswert, wie Sie, Mark Roseman und Marianne, so durch die Jahre hin, bemüht waren, dass diesem BUND auf der Liste der „Gerechten unter den Völkern“, die im Jerusalemer Yad Vashem geführt wird, die ihnen zustehende Ehre zu geben. Bis heute vergebens! Damit Mariannes Wunsch wenigstens posthum in Erfüllung gehen kann, bitte ich - von dieser historischen Stelle aus - die Verantwortlichen des Yad Vashem, ihr zögerliches Verhalten erneut zu überprüfen und jenen die Ehre zu geben, denen sie - last not least - gebührt.
In Ihrem Buch schildern Sie, wie still die Helfer mit den damals lebensgefährlichen Schwierigkeiten, Menschlichkeit zu üben, umzugehen verstanden. Über die unmenschliche Belastung, dass die Verfolgten bei einem Misslingen ihrer Rettung auch den Tod der Erretter und deren in Sippenhaft genommenen Familien in Kauf nehmen mussten, ist erstaunlich wenig berichtet worden. In Ihrem Buch aber glaube ich die Bedeutung dessen zwischen den Zeilen zu lesen. Oder habe ich sie mir nur hineingewünscht?
Sie berichten von dem Soldaten Arras, der nach außen so tat als ob er ein hundertprozentiger Hitleranhänger wäre, in Wirklichkeit aber - im Soldatenrock der Wehrmacht - das alles unterwanderte. Er war der Postillion der Liebe zwischen Marianne und ihrem Geliebten Ernst Krombach, brachte Briefe und Pakete nach Izbica, einem von SS bewachtem Warteraum zu den Gaskammern, in dem auch meine Mutter und einige meiner Geschwister eingesperrt waren, und brachte Briefe von dort zurück. Als er uns aufsuchte, um von den unmenschlichen Zuständen in Izbica zu berichten, hielten wir ihn für einen Spion der Gestapo, der uns aushorchen sollte.
In diese Zeit fällt mein näheres Kennenlernen der Marianne Strauß, die in unserer Kindheit oft in meiner Geburtsstadt Ahlen in Westfalen war, denn ihre Großeltern mütterlicherseits lebten in Ahlen. Die Begegnung mit ihr wurde allerdings erst konkreter, als die Stadt Ahlen dem Führer ihre Stadt als erste im Reich 'judenrein’ vermeldete und wir dieserhalb nach Essen ziehen mussten. So begann die Konzentration der Verfolgten, so auch die mir unvergessliche Begegnung mit Marianne, die mit schönstem Elan die Barriere zwischen S’phardim und Aschkenasim, zwischen Ost- und Westjuden, die selbst in der unbehaglichen Aura der nahenden Katastrophen noch immer zu bemerken war, niederriss.
Im Barackenleben Steele-Holbeckshof besuchte sie uns, die wir als Kohlentrimmer auf dem RWE schufteten, wohl jeden Tag, förderte mit jedem Hoffnungsblick aus "ihren Glutaugen" - so bezeichnen Sie sie treffend, Mark! - den längst schon müde gewordenen jüdischen Stolz, demonstrierte beispielhaft, dass Liebe auch in bedrohlicher Zeit ihr Recht beanspruchen darf.
Wir begriffen allerdings nicht, warum sie eine Privilegierte war, die kommen und gehen konnte, wann immer sie wollte. Sie haben mich mit Ihrem Buch die ganze Wahrheit wissen lassen: Canaris schützte die Familie Strauß.
Das 'Unternehmen Sieben’, das Canaris 1942 auf von Dohnanyis und Bonhoeffers Geheiß als 'Liste der Protegés’ für die Abwehr erfand, schützte die Familie Strauß. Die Idee war: jüdische Menschen als Spione in Südamerika einzusetzen, und sie so zu retten; was immerhin mit 15 Seelen gelang. Von Dohnany bezahlte diese Kühnheit mit dem Leben. Der Plan scheiterte an einem Einwand Himmlers, der die sofortige Überstellung nach Theresienstadt anordnete; im Zuge dieser Aktion floh Marianne IN EINEM UNBEWACHTEN AUGENBLICK.
Das 'Unternehmen Aquilar’ des Bankdirektors Hammacher (um ein weiteres Beispiel zu nennen) der Holländer jüdischen Glaubens aus der Verzweiflung des Verfolgtseins riss, ist - wie das 'Unternehmen Sieben’ - in der reflektierenden Öffentlichkeit, die als Meinungsmacher für das politische Klima zuständig ist, erstaunlich wenig beachtet worden. Wie viel verleumderisches Verkennen begeleitet selbst die Aufständischen des 20. Juli, die, bis zum heutigen Tag, vielfach als Verräter tituliert werden.
'Verleumderisches Verkennen’ - ich kann dieses Stichwort nicht übergehen, ohne auf die schmutzigen Kampagnen hinzuweisen, die mein langjähriger Chef, der Intendant, Regisseur und Schauspieler Gustaf Gründgens zu erdulden hatte. Durch Nutzung seiner von Emmy Göring geförderten Karriere setzte er sein enormes taktisches und schauspielerisches Talent ein, um jüdische Menschen zu schützen. Das ist die blanke Wahrheit, bewiesen von den Zeugen der Zeit!! Das Heulen mit den Wölfen war auch bei ihm - wie bei ach so vielen - nur ein Überdecken der eigenen Ängste.
Wer sich zeitkritisch äußert, der sollte die Tatsache bedenken, die mit dem Anlass der heutigen Verleihung eng verbunden ist, die Tatsache nämlich, dass niemand auf der weiten Welt voraussagen konnte, wann das 1000-jährige Reich zu Ende sein würde. Selbst als Deutschland schon lange nicht mehr an allen Fronten siegte, das Ende bereits abzusehen war, wir dennoch nach Auschwitz verbracht wurden, konnte keiner sagen, dass es noch mehr als zwei Jahre dauern wird; viele hofften vielmehr, dass der Spuk bald zu Ende sein müsste. In dieser Ungewissheit ist in vielen Fällen die Begründung zu suchen, wieso Menschen die Kühnheit aufbringen konnten, sich gegen die Staatsmacht zu stellen.
Es muss gesagt sein - von mir gesagt sein - das es nicht nur einflussreiche Prominente waren, die ihre Positionen nutzten, um so handeln zu können. Allerorten gab es Menschen, die dafür sorgten, dass das Übel sich nicht vermehrte.
Von einer Viertelmillion jüdischer Menschen, die 1939 noch in Deutschland verblieben waren, überlebten wahrscheinlich weniger als 3000 im Versteck, die Hälfte davon in Berlin; unter ihnen Hänschen Rosenthal, Michael Degen, Manfred Joffe.
Hier muss ich aus tiefbewegtem Herzen Kund von einer Ahlener Bergarbeiterfrau tun, die meine hungernde Familie mit Lebensmitteln versorgte, die sie über Jahre vom elterlichen Bauernhof organisierte; Tante Tres’chen tat dieses unter den Augen der Gestapo, riskierte ihr Leben.
Von vier westfälischen Bauernfamilien gilt es ebenfalls zu berichten, die Anfang 43 - da war Stalingrad bereits gefallen! - einen Ahlener Pferdehändler mit seiner Frau und seinem Töchterchen versteckten, die mit mir hätten nach Auschwitz müssen. Die unterschiedlichen Motivationen des unglaublichen Handelns beschäftigen mich derzeit ungemein, weil ich über diese Bauern ein Drehbuch zu einem Film schreibe, der ab Mai nächsten Jahres von mir gedreht werden soll. Der Bauer Aschoff handelte aus Gutmütigkeit, ein gegebenes Versprechen einhaltend, Bauer Pentrop fühlte sich als Kirchenvorstand zu menschlichem Handeln verpflichtet, Bauer Silkenbömer war ein Hasardeur, der den versagenden Kriegstaktiker Hitler zutiefst verachtete, Bauer Schulte - das schwächste Glied in dieser gefährdeten Kette - hatte bei dem Pferdehändler Spiegel Schulden.
Als ich (vor zwanzig Jahren etwa) dem WDR diesen unglaublichen Stoff vorlegte, wurde er mit dem Vermerk abgewiesen, dass wir - wörtlich! - "dieses Thema nicht noch mehr strapazieren wollen". Jetzt hat sich ein Produzent gefunden, der mutiger zu sein scheint.
Ihre Schilderung dieser Zeit zwingt meinem Langzeitgedächtnis Erinnerungen auf, die mich ruhelos halten. Ruhelos insbesondere deswegen, weil mich ein schlechtes Gewissen plagt, ob ich mich bei denen, die uns in jenen Jahren beistanden, zumindest uns zu helfen versuchten, ausreichend bedankt habe.
Aus Ihrem Buch, Mark, ist erlesbar, dass die Devise immer lauten musste: einen Steg zu bauen, über die man Verfolgte von einer Zeit in die nächste führen konnte, gestützt von der Hoffnung, dass das doch bald ein Ende haben wird.
Als ich ihr Buch, in der Absicht es zu verfilmen, einem Filmlektor vorlegte, lautete der letzte Satz der durchweg positiven Analyse: „Doch um es hier direkt zu sagen, ohne die Pietät preiszugeben: Es reicht nicht, um daraus einen Film zu machen. Die eigene Schuldhaftigkeit schwingt zu sehr mit.“
"Die eigene Schuldhaftigkeit" - eine Feststellung, die eine objektive Zeitbetrachtung von Anfang an erschwert hat. Am schwierigsten war es wohl immer da, wo die Tatsache, das es Nazis gegeben hat, die keine Antisemiten waren, und noch um einiges schwieriger da, wo Antisemiten, mit mörderischer Lust, ihren unterschwelligen Antisemitismus kultivierten, obwohl sie keine Nazis waren.
Diese Widersprüchlichkeit untersuchen und benennen Sie ohne nachsichtige Beschönigung, zeigen sich auch hier des leidenschaftlichen Historikers würdig. Sie prüfen sehr genau die Löcher in der Erinnerung, die meistens dort entstehen, wo die Schmach des Erduldethabens für die brutale Wahrheit blind macht, weil man mit ihr nicht weiterleben kann.
"Das Gesetz des Lebens zu erkennen und zu befolgen“ notiert Marianne Strauß in ihrem Tagebuch, einem Tagebuch des Grauens und der Finsternis. Das Gesetz des Lebens - ’dem viele zu folgen suchten, denn es heißt ja wohl zu allererst: das Leben zu erhalten’;
Das Gesetz des Lebens zu erkennen - meint das nicht, dass wir erkennen müssen, das Hass und Rache menschenunwürdig sind? „Das Gesetz des Lebens zu erkennen und zu befolgen.“ Der GESCHWISTER SCHOLL-PREIS, der heute an den Historiker Mark Roseman vergeben wird, mahnt diese Forderung bedeutungsschwer ein.
Erlauben Sie einem Regisseur, der ein Schicksalsgefährte der vom Mark Roseman auf so meisterliche Weise dem Vergessen entzogenen Marianne Ellenbogen, geborene Strauß, war, mit einem Zitat zu enden, das mich in einen Zwiespalt trieb als ich Brechts GALILEO GALILEI inszenierte: „Wehe dem Land, das Helden nötig hat!“, gewichtete Will Quadflieg in der Rolle des Galilei diese Mahnung an die Welt. ...Helden nötig... Meine Erfahrung diktierte mir jedoch eine andere Gewichtung: „Wehe dem Land, das Helden nötig hat!“ ...nötig hat...
Und wir hatten in jener dunklen Zeit viele Helden nötig, einigen setzen Sie in Ihrem Buch IN EINEM UNBEWACHTEN AUGENBLICK ein markantes Denkmal.
Ihnen gebührt der GESCHWISTER SCHOLL-PREIS 2003 in seiner ganzen historischen Bedeutung.
Gratulation!
Imo Moszkowicz, München 24.11.2003
Es gilt das gesprochene Wort.
…Weniger
Dankesrede von Mark Roseman
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Frau von dem Knesebeck, Magnifizenz, mein lieber Imo, lieber Vivian und Sandra Ellenbogen, liebe Freunde, sehr verehrte Damen und Herren, ich darf mich zunächst ganz herzlich bedanken für die Ehre, die mir zuteil wird, und Imo für Deine schönen, sehr bewegenden Worte, über die ich mich mehr als gefreut habe.
Imo, daß Du diese Rede gehalten hast, ist für mich eine ganz besondere Freude, denn Dein Leben ist ja in vielfacher Hinsicht mit dem von Marianne verwoben. Du bist in Ahlen/ Westfalen aufgewachsen, einer Kleinstadt, in der Du als Kind neu zugewanderter, sogenannter Ostjuden die Rosenbergs, Mariannes mütterliche Großeltern erlebt hast, eine lang etablierte, wohlhabende deutsch-jüdische Familie.
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Isaak Rosenberg war angesehener Kaufmann, Förderer der freiwilligen Feuerwehr, Mitglied des Kyffhäuserbundes. Marianne Strauß kanntest Du damals nicht, sie ist 1923 in Essen geboren – damit einige Jahre älter als Du (wir wollen nicht genau sagen wie viele). Aber sie ist in einem ähnlichen patriotischen alteingesessenen deutsch-jüdischen Milieu aufgewachsen, wie Du es bei den Rosenbergs beobachten konntest. Vater und Onkel waren Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg, der Onkel sogar stolzer Empfänger des Eisenen Kreuzes. Mariannes Eltern waren bestrebt, ihr eine gute deutsche Bildung zu vermitteln, so dass sie auch nach 1933 das Mädchenlyzeum, die Luisenschule, und nicht die jüdische Schule besuchen musste.
Eure Wege hätten sich 1939, nach den Schrecken der Kristallnacht, kreuzen können. Nach der Gewalt dieser Nacht, bei der Deine Familie die Ausreisepapiere verlor, Mariannes väterlicher Großvater aufs Schwerste misshandelt wurde, und Mariannes Vater ein paar Tage später für einige Wochen nach Dachau verschickt wurde, warst Du mit anderen Ahlener Juden aus der Stadt vertrieben und kamst nach Essen. Doch mangels anderer Möglichkeiten setzten Mariannes Eltern weiterhin auf Bildung und schickten Marianne als 15jährige nach Berlin, wo sie eine Ausbildung als Kindergärtnerin im jüdischen Seminar für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen machte – der einzige Lernort für jüdische Mädchen, wo ein deutsches Staatsexamen noch zu haben war.
Im Jahre 1941 kehrte Marianne als bildschöne, tatkräftige 18jährige nach Essen zurück und verliebte sich in Ernst, der gut aussehende jüngere Sohn eines ehemals wohlhabenden und einflussreichen deutsch-jüdischen Essener Anwaltes, David Krombach. Noch kanntest Du, lieber Imo, Marianne nicht. Aber ein schreckliches Erlebnis verbindet Euch seit April 42, als Ihr beide am Essener Bahnhof zusehen musstet, wie Eure Lieben – Deine Mutter und Ernst Krombach – mit demselben Transport zum polnischen Ghetto, Izbica, deportiert wurden. Der Schriftwechsel, den Marianne und Ernst von April bis August 1942 zwischen Essen und Izbica führen können, ist einzigartig. Dass er existiert, ist zunächst dem Mut und der Initiative der beiden jungen Menschen zu verdanken. Aber im August 1942 können sie auf eine fast unglaublich anmutende Hilfe zählen, die des Wehrmachtssoldaten Christian Arras. Als reklamierter Beschäftigter des väterlichen Essener Lastwagenbetriebs liefert Arras Ersatz für Wehrmachtseinheiten in Polen und bietet Marianne an, Päckchen an die Krombachs mitzunehmen. Aus Izbica zurück bringt er einen 16 Seiten langen unzensierten Brief von Ernst, der als absolut einzigartiges zeitgenössisches Dokument ueber die Bedingungen in den Ghettos der Lubliner Gegend noch existiert. Ich musste staunen, Imo, als ich in Deinen Memoiren las, dass auch Du in Essen demselben Arras begegnet bist, der versucht hat, Dich vor den schrecklichen Bedingungen im Osten zu warnen. Aber Du hast ihn für einen Spion gehalten und der Warnung keinen Glauben geschenkt. Und was hättest Du auch tun können? Leider hat Arras Hilfe auch den Krombachs nicht lange geholfen. In den nächsten Monaten sind alle gestorben oder ermordet worden.
In dieser Zeit lebten Marianne und Du in verschiedenen Welten. Dadurch, daß ihr Vater über seinen Bankier Verbindungen zur Abwehr knüpfen konnte, lebte Mariannes Familie als letzte „volljüdische“ Familie noch in der eigenen Wohnung, obschon unter sehr beschränkten Verhältnissen. Du dagegen warst mit einigen anderen jüngeren noch nicht Deportierten in eine Baracke verwiesen und als Zwangsarbeiter verpflichtet worden. Aber jetzt erlebtest Du Marianne aus näherer Entfernung, eine junge Frau, die rege am Leben in der Baracke teilnimmt und alles unternimmt, um der schrumpfenden Essener Gemeinde zu helfen. Mit Verwunderung stelltest Du fest, daß hier eine junge Frau war, für die die alten Unterschiede zwischen West- und Ostjuden überhaupt keine Rolle spielten, und die sich mit keckem Lebensmut für andere einsetzte.
Dir war wahrscheinlich völlig unbekannt, daß Marianne gleichzeitig Mitglied des Bundes Gemeinschaft für sozialistisches Leben war – keine formale Partei aber eine moralisch-politisch sehr eng verpflichtete Menschengruppe, die sich in den 20er Jahren um den Volkshochschullehrer Artur Jacobs und seine Frau, die Körperbildnerin Dore Jacobs, formiert hatte. Ich hatte das große Glück mit einigen alten Mitgliedern dieser Gruppe sowie einigen engen Freunden aus dem Umkreis Gespräche zu führen. Als ich mir eine Fernsehsendung über Dein Leben anschaute, musste ich wiederum mit Erstaunen feststellen, dass eine dieser Gesprächspartner, die beeindruckende Hannah Jordan, hinterher Deine langjährige Bühnenbildnerin gewesen war.
Anfang 1943 bist Du, lieber Imo, nach Auschwitz deportiert worden, und hier endet die Nähe zu Mariannes Leben, es sein denn, wir nehmen als verbindendes Element den späteren Tod von Mariannes Eltern und Bruder in eben demselben Vernichtungslager. Denn, nachdem der Schutz der Abwehr zusammengebröckelt war, war auch Mariannes Familie an der Reihe. An dem Tag, als die Gestapo die Familie aus der Wohnung für einen Transport abholen wollte, flüchtete Marianne. Nach einem Tag hin und herlaufen in der Stadt nahm sie das Hilfsangebot Artur Jacobs wahr und stellte sich unter die Obhut des Bundes. Mehr als anderthalb Jahre verbrachte sie auf der Flucht, bewegte sich von einem Bundmitglied zum nächsten fort. Getarnt als ein arisches Mädchen mit rötlich gefärbten Haaren, und mit unheimlichem Mut und Selbstbewußtsein ausgestattet, lebte Marianne offen und nicht versteckt. Immer wieder fanden sich Mitglieder des Bundes bereit, sie für ein paar Wochen mit wechselnden Tarngeschichten unterzubringen und zu verpflegen. Nicht nur Marianne, sondern schätzungsweise 8 Personen verdanken dem Bund ihr Leben.
Eure Wege kreuzten sich doch noch einmal – fast. Nach dem Krieg taucht die lebenshungrige Marianne in Düsseldorf auf, und, wie Du lieber Imo, träumte sie von einer Karriere im Theater. Anders als Du fand Marianne den Anschluss zum Düsseldorfer Theater nicht. Sie wurde Kulturkorrespondentin für die Freiheit, schrieb manch beeindruckende Reportage für die BBC, bevor sie sich in Basil Ellenbogen, einen jüdischen Arzt der britischen Besatzungsarmee, verliebte, und schließlich Ende 1946 nach Liverpool zog.
Mariannes Lebensweg zeugt also von der mörderischen Grausamkeit dieser Epoche, aber gleichzeitig von einem ‚anderen Deutschland’, und - mit Ausnahme der Abwehr-Episode - einem anderen Deutschland der kleinen Leute. Artur und Dore Jacobs waren zwar in vielerlei Hinsicht außerordentliche Menschen, aber viele ihrer Anhänger waren relativ normale Leute. Inspiriert durch allgemeine Kant’sche Leitgedanken, gebunden durch ihre Gruppenzugehörigkeit und somit auch immunisiert gegen die Lügen des Nationalsozialismus, schafften sie es, durch kleine mutige Gesten ein (oder mehrere) Leben zu retten. Auch der Wehrmachtssoldat Christian Arras war ein sehr normaler Deutscher, kein Mann der Politik, der aber aus Lebensmut und Freundschaft sehr couragierte Schritte in Izbica und anderswo unternahm. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Geschwister Scholl Preis ist kein reiner Literatur-Preis und ich freue mich deshalb so besonders über diese Auszeichnung, weil ich finde, es hätte für Mariannes Helfer keine treffendere Anerkennung geben können als eine, die an den Mut der Geschwister Scholl erinnert.
Lieber Imo, es gibt doch noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Dir und Marianne. Die meisten Ahlener und Essener Querverbindungen hatte ich nach einigen Tagen des Forschens mit immer größerer Aufregung entdeckt oder zumindest vermutet, bevor ich den Schritt wagte, mit Dir den Kontakt aufzunehmen. Ich zögerte, den Brief an Dich zu schreiben, denn ich wußte aus der Fernsehsendung über Dein Leben, daß Du sehr ungern in die Vergangenheit tauchst. Mir war dieser Unwillen sehr vertraut, weil Marianne Ellenbogen ihn mit Dir teilte: sie sprach äußerst ungern über die Zeit vor ihrer Reise nach England.
At this point I must slip into English for a moment. You ladies and gentlemen have to sit through 5 speeches that at least you understand; spare a thought for Vivian and Sandra Ellenbogen, Marianne’s son and daughter in law, who have to sit here through 5 incomprehensible speeches. I was saying that something that links both Imo Moszkowicz and Marianne was their reluctance to plunge back into the past. For Marianne’s family – Vivian and his sister – the past lay like a silent burden, present but undiscussable on their post-war life. It is only thanks to Vivian’s encouragement to his mother, which helped her overcome her reluctance to talk to me, and afterwards his support for me in providing access to his mother’s papers that this story could be told at all. The challenge of deciding how best to look after Marianne’s interests after her death was not an easy one for a son both wishing to see her life commemorated and mindful of her desire for privacy. Vivian I would just like both to acknowledge my gratitude for your support and to say how pleased I am that you and Sandra are here today. I know you wish me to thank the city of Munich for their generosity in inviting not only myself but also you to today’s events. And that’s the end of the English interlude, Vivian and Sandra, sorry!
Kleine Perlen ihrer Erlebnisse hat Marianne gegenüber Freunden und Verwandten erzählt - aber nur kleine Bruchteile. Auch für mich gab es zu wenig Gespräche vor ihrem Tod, um mehr als nur einen Teil ihres Lebens und Überlebens aufzudecken. So gesehen mußte ich eine versteckte Geschichte und nicht nur eine Geschichte des Versteckens durchforschen. Durch die Aufdeckung immer neuer Quellen nahm die Biographie ein ganz anderes Ausmaß und eine ganz andere Gestalt an, als ursprünglich vorgesehen. Viele dieser Quellen befanden sich bei Marianne in der Wohnung. Wie sich herausstellte, hatte Marianne nichts weggeworfen aber auch nichts katalogisiert und die Papiere waren zerstreut in vielen Ecken und Winkeln des ganzen Hauses. Über diese Akten gelangte ich an viele mir verborgen gebliebene Verwandte, Schulkameraden, Bundmitglieder, ehemalige Beschäftigte des Vaters, an Dich lieber Imo, und andere Zeitgenossen, die das Bild von Mariannes Leben verdichteten und vertieften.
Diese Materialien zeigten – sofern man als Forscher wirklich Glück hat, und in der Lage ist, sich in die Detektivarbeit zu stürzen –, dass trotz der Zerstörung, trotz der Verstreuung der Leidensgenossen und trotz des Verschweigens, manchmal eine Fülle von Spuren und Zeugen die verborgenen Geschichten noch aufhellen können. (Das war in den 90er Jahren so – natürlich gibt es mit jedem Jahr weniger Zeugen dieser Zeit.) Gleichzeitig lernte ich anhand dieser doch so reichhaltigen Quellen, dass die Schwierigkeit, menschliche Erfahrungen aus dem Dritten Reich und vor allem aus dem Holocaust zu verstehen, nicht nur darin besteht, den Zeugen über ihre Sprachlosigkeit zu helfen. Dass sich die meisten von uns – anders als Du Imo - kaum vorstellen können, was sich hinter den Toren von Auschwitz abspielte, ist Gemeinplatz. Aber auch jenseits von solchen einzigartigen Planeten des Mordens und des Terrors ist das Problem des Vermittelns und Verstehens nicht einfach.
Es zeigte sich zum Beispiel, daß manche von Mariannes anscheinend eindringlichsten Erinnerungen nicht so verlaufen sind, wie sie meinte. Durch vergleichende Detektivarbeit stellte es sich heraus, dass sie mal Erinnerungen von anderen geborgt, mal ihren eigenen andere Wendungen gegeben hatte. Es wurde mir klar, dass traumatische Erinnerungen nicht nur durch Verschweigen bewältigt werden mussten und dass das, was ich von ihr gehört hatte, manchmal eher Zeichen eines Bewältigungsprozesses denn eine direkte Wiedergabe des damals Erlebten war.
Dies war eine Frage des Gedächtnisses, doch die schriftlichen Überlieferungen sind genauso schwer zu deuten. Wenn im Jahre 1941/42 junge jüdische Liebhaber in Briefen zwischen Berlin und Essen einander Mut geben wollen und womöglich auch an die Zensur denken, inwieweit darf man dann als späterer Leser ihrem leichten Übersehen der Strapazen der Verfolgung Glauben schenken? Das Dritte Reich– um die Weltall-Metapher weiter zu strapazieren – ist gewissermaßen ein dunkler Stern – alles Licht, das hinausdrängt, ob erzählt oder geschrieben, ist irgendwie krumm.
Denn die Bedingungen, unter denen Erfahrungen damals gesammelt oder Briefe geschrieben wurden, liegen soweit weg. Und diese Entfernung entsteht nicht nur für uns als Außenstehende: wie viele ihrer jüdischen (und zum Teil auch nichtjüdischen) Zeitgenossen erfuhr Marianne radikale Diskontinuitäten in ihren Lebensumständen. Das Mädchen einer bürgerlichen deutsch-jüdischen Familie der 20er und frühen 30er Jahre, lebte, beobachte, dachte in einer völlig anderen Welt, als die Überlebenskämpferin der Kriegszeit, oder die englisch-jüdische Hausfrau in den Jahrzehnten nach dem Krieg. In meinen Gesprächen mit Marianne habe ich nicht ohne weiteres die früheren Ichs’ vernommen, die ich dann später in Briefen und Tagebüchern aufdeckte. Das ist, könnte man meinen, bei allen Menschen in allen Zeiten so; nur sind die Brüche im Leben hier besonders scharf konturiert. Manche von Mariannes Jugendkameraden gingen nach Palästina, manche in englischsprachige Länder oder nach Südamerika. Die Nichtjuden blieben in Deutschland. Nach dem Krieg, das konnte ich auch am Beispiel der Erinnerungen an ihre Schulzeit zeigen, entstanden sehr unterschiedliche Erinnerungsgemeinschaften – bedingt durch das jähe Auseinandertreiben der einst gemeinsamen Generation. Hier also gab es Unterschiede der Erinnerungen und der Sichtweise, die es zu entschlüsseln galt.
Auch für die Mitglieder des Bundes hat es sich als überaus schwierig erwiesen ihre Erfahrungen und das, was sie geleistet haben, der Nachkriegswelt verständlich zu machen. Die ‚gebrannten Kinder’, unter denen der Bund vergeblich nach 1945 Nachwuchs suchte, respektierten die Leistungen, wollten aber keine lebensreformerische Schwärmerei, kein Kantsches Suchen nach den Flammen des Geistes. Paradoxerweise hat das Scheitern des Dritten Reichs dem Bund den politischen Boden entzogen: die Sprache der Politik war nüchterner und anders geworden. Hinzu kam, daß im Gegensatz zu den Geschwistern Scholl die Bundmitglieder glücklicherweise keine Märtyrer geworden sind. Sie konnten keine großen Opfer zeigen, sie hatten anders als der französische Widerstand keine Brücken gesprengt oder Waffen getragen. Sie sahen nicht einmal aus, wie eine anständige Widerstandsgruppe. Da waren lauter Frauen, die Körperbildung machten. Sie hatten das getan, was im Rahmen des Dritten Reichs möglich war, nämlich mit Hilfe eines losen Netzwerkes von bis zu 100 Menschen einige wenige Leute am Leben gehalten. Das war viel – aber es war nicht der Stoff, aus dem man Nachkriegslegenden bilden konnte. Auch hier erwies es sich also als schwierig, Lebenserfahrungen und Leistungen aus der Zeit des Dritten Reiches über die Schwelle der Nachkriegszeit hinüberzubringen.
Diese Hinweise auf die Herausforderungen der Kommunikation werden Ihnen, meine Damen und Herren, vielleicht ein wenig seltsam wirken. Denn auf der einen Seite werden Sie nach fünf Reden sicherlich der Meinung sein, dass die Herausforderung des Zuhörens und des Festsitzens jetzt die eigentlichen Themen sein müssten. Aber im Ernst wird man sicherlich anmerken wollen, dass wir mehr wissen, mehr gelesen, mehr erfahren haben über das Dritte Reich als über jede andere Epoche menschlicher Geschichte. Denn in einem Punkt möchte ich dem inzwischen nicht nur in Militärkreisen berühmten Herrn Hohmann Recht geben. Deutschland ist wirklich das Land, das sich am intensivsten mit den Schattenseiten seiner Geschichte beschäftigt hat. Deutschland hatte kaum eine andere Wahl: die Schatten streckten sich so lang und so dunkel über den Boden. Dennoch hat sich zunächst zögernd, oft von außen geschubst, vor allem die Bundesrepublik auf beeindruckende Art und Weise seine schwierige Erbschaft geprüft, justiziell untersucht, erforscht, anerkannt, und „wiedergutgemacht“. Das muss man anerkennen; und die Existenz von diesem Preis ist ein Zeugnis dieser Offenheit gegenüber der eigenen Geschichte.
Gleichzeitig gibt es die Gefahr, dass durch das bloße Wiederholen bekannter Dinge Inhalte verloren gehen und möglicherweise auch jüngere Generationen abgestoßen werden. Der Bund musste nach 1945 die schmerzliche Erfahrung machen, dass man bei noch so schönen Beteuerungen Zuhörer verprellte, wenn man keine Sprache und Sichtweise fand, die sie ansprach und echt wirkte. Und daher ist der Kampf um Authentizität, das Aufzeigen der vielen Schattierungen bei Einstellungen und Verhaltensmustern, aber auch das lebendige Plastisch-Machen der Schwierigkeiten dieses Kampfes und der Grenzen dessen, was eindeutig bestimmt werden kann, notwendig, wenn man die Erinnerung wach halten und nicht auf Pflichtlektüre und Sonntagsreden schrumpfen lassen will.
In diesem Zusammenhang möchte ich schließlich noch einige Dankesworte äußern. Wie gesagt wollte ich durch die etwas ungewöhnliche Erzählform dieses Buches nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern auch die Aufdeckung einer Geschichte unter den schwierigen Umständen der Nach-Holocaust-Zeit transparent machen, und dadurch die Geschichte des Erinnerns und Vergessens ebenfalls erzählen. Ich hoffte damit, sowohl zur wissenschaftlichen Diskussion beizutragen als auch ein breiteres Publikum zu erreichen. Das Vorhaben, unterschiedliche Leserkreise für ein Kommunizieren über das Nichtkommunizieren zu interessieren, verlangte von meinem Verlag, Penguin, Mut und ich möchte meinem Editor, Simon Winder, sowie meinem Agenten, Peter Robinson ganz herzlich danken. Was ich nicht vorhergesehen hatte, war, welch große Herausforderung dieses Projekt für eine Übersetzung darstellen würde. In Deutschland war die Aufgabe ausgesprochen schwierig, denn zum bestimmenden Merkmal der Wissenschaft gehört ja die Forderung, eine vom Alltag abgehobene Sprache zu verwenden. Unter diesen Bedingungen sowohl authentische Autorenstimme aber auch die Sprachlosigkeit wiedergeben zu können, stringent und zugänglich zu bleiben, eine Art von Lockerheit zu finden ohne unseriös zu wirken, war keine leichte Sache. Meine damalige Lektorin beim Aufbau Verlag Annette Anton, meine Übersetzerin Astrid Becker, und meine deutsche Agentin Ursula Bender von Agence Hoffman, die erfreulicherweise heute Abend hier sind, werden sich ein leichtes Schmunzeln erlauben, wenn ich sage, dass die Übertragung dieses Buches ins Deutsche demnach kein leichtes Unterfangen war. Allein der Schriftwechsel per E-Mail über den Titel hat das Internet zum Stillstand gebracht. Umso mehr möchte ich Annette, Astrid und Ursula, und dem Aufbau Verlag zum Schluss herzlichst dafür danken, dass Sie mir den Weg in die deutsche Sprache und in den deutschen Leserkreis eingeebnet haben.
Mark Roseman, München 24.11.2003
Es gilt das gesprochene Wort.
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