David Grossman, 1954 in Jerusalem geboren, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der israelischen Gegenwartsliteratur. Seine Bücher wurden weltweit übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er arbeitete mehrere Jahre als Redakteur beim Rundfunk, 1979 veröffentlichte er seine ersten Erzählungen.
Preisträger 2008
David Grossman
Die Kraft zur Korrektur
Über Politik und Literatur
Aus dem Hebräischen von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling
Carl Hanser Verlag
München 2008
ISBN: 978-3-446-20998-5
Autor
Begründung der Jury
„Der Geschwister-Scholl-Preis 2008 wird dem israelischen Schriftsteller David Grossman verliehen. Er erhält den Preis für seinen Band Die Kraft zur Korrektur (2008) und ausdrücklich auch für sein Gesamtwerk, das in mehr als 30 Sprachen übersetzt ist. Grossmans Werk zeichnet sich durch eine erfindungsreiche und literarisch faszinierende Art aus, indem es von den menschlichen Leidenschaften, Traumata und Ängsten unserer Zeit erzählt.
Zudem hat Grossman, der 1954 geboren wurde, wie kein anderer seiner Generation immer wieder neu über den Zusammenhang von Literatur und Politik nachgedacht.
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So plädiert er in Die Kraft zur Korrektur für eine Literatur, die auch unter den Bedingungen des Krieges ein Refugium der Freiheit bleiben muss, eine ideologiefreie Zone, in der (auch) die Koordinaten eines friedlichen Nebeneinander von Israelis und Palästinensern mit allen Konsequenzen gedacht und vermessen werden können.
Ausdrücklich verweist die Jury auf Grossmans zutiefst beeindruckendes erzählerisches Werk, seine nicht nachlassende Insistenz, den Dialog „im Katastrophengebiet“ nicht aufzugeben.
Dieses Werk bewahre die Fähigkeit zur „differenzierten, einfühlsamen Hinwendung zu dem einzelnen Menschen, der in dem Konflikt gefangen ist, gleichgültig ob auf unserer Seite oder der anderen“ (Grossman). Der Geschwister-Scholl-Preis ehrt somit einen Autor, der auch unter schwierigsten politischen und persönlichen Umständen den Mut zum unabhängigen Denken und zum „Einfühlen in den Anderen“ nie aufgegeben hat.“
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Verleihung
Am 24. November 2008 nahm David Grossman in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München den Preis entgegen. Oberbürgermeister Christian Ude und Wolf Dieter Eggert, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern e.V., überreichten als Stellvertreter der Stifter die Urkunde.
Die Laudatio hielt die Literaturwissenschaftlerin Dr. Rachel Salamander. Die feierliche Verleihung wurde vom Quartett des Orchesters Jakobsplatz München musikalisch umrahmt.
Ansprache von Wolf Dieter Eggert
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter David Grossman,
sehr geehrte Mitglieder der Jury,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
heute verleihen der Landesverband Bayern im Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Landeshauptstadt München zum 29. Mal den Geschwister-Scholl-Preis.
Dieser Preis gilt dem Gedenken an den heldenhaften, im Wortsinn todesmutigen Kampf seiner Namensgeber gegen ein menschenverachtendes Verbrecherregime. Heute soll dieser Preis Persönlichkeiten und ihre Werke ehren, die in vorbildlicher Weise für Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Toleranz eintreten und streiten.
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Dass es solche Persönlichkeiten und solche Bücher gibt, und wohl auch weiterhin geben wird, beweist schon die umfassende Vorschlagsliste, welche die Jury im Mai dieses Jahres zur Vorauswahl stellte.
Allen Mitgliedern der Jury gebührt an dieser Stelle unsere Anerkennung und unser Dank für die mühevolle Arbeit, im literarischen Diskurs den Preisträger ermittelt zu haben. Schlussendlich war das Votum der Jury eindeutig:
Das Werk “ Die Kraft zur Korrektur” von David Grossman erhält den Geschwister-Scholl-Preis 2008.
Mit dieser Auszeichnung würdigen wir nicht nur das Buch “Die Kraft zur Korrektur”, sondern das gesamte erzählerische Werk David Grossmans, denn dieses bringt das, was der Preis auszeichnen möchte, auf höchst eindrückliche Weise zur Sprache und führt uns überzeugend vor Augen, dass geistige Unabhängigkeit und moralischer, intellektueller Mut im alltäglichen Leben im wahrsten Sinne des Wortes Herkulesarbeit sind.
Es gibt immer wieder Zeiten, in denen bestimmte moralische, gesellschaftliche oder politische Überlegungen, Einsichten und Schlussfolgerungen undenkbar sind, ausgeschlossen, außerhalb jedes Radius, der dem Denken der Zeit und der Zeitgenossen zugänglich ist. In der allgemeinen Raserei und Erschöpfung versiegt die Kraft zur Korrektur dann fast immer als erste.
Wer die Grenze zum Undenkbaren überschreitet und sich öffentlich in politische und/oder moralische No-Go-Areas begibt, weil in all dem menschlichen Elend und politischen Desaster weit und breit kein anderer Ausweg zu sehen ist, begibt sich in Gefahr, nicht selten in Lebensgefahr.
Grossman hat von Anfang an – seit seiner ersten öffentlich gemachten Äußerung zur Lage im Lande vor beinah vierzig Jahren – stets den Standpunkt vertreten, dass ein Frieden im Nahen Osten nur im Nebeneinander von Israel und seinen arabischen Nachbarn möglich ist, und er hat, ausgehend von den jeweiligen herrschenden Bedingungen, immer wieder konkrete Vorschläge für Schritte aufeinander zu gemacht. Schritte, die von beiden Seiten schmerzliche Zugeständnisse verlangen, aber überlebensnotwendig sind, um Schlimmeres – oder das Schlimmste – zu vermeiden.
Wer wie Grossman bei der Gedenkfeier für den ermordeten Premier Jitzhak Rabin vor tausenden von Menschen konstatieren muss:
„Dieses Jahr können wir uns selbst kaum ins Gesicht schauen“, und wer sich und all die anderen auf dem Rabin-Platz fragt
„Wann haben wir die Hoffnung auf ein anderes besseres Leben verloren? Und […] wieso stehen wir auch heute noch am Rand und schauen wie hypnotisiert zu, wie Wahnsinn, Brutalität, Gewalt und Rassismus von unserem Zuhause Besitz ergreifen?“, der verfügt über eine zutiefst humanistische Kraft des Denkens. Und über großen Mut.
Vielleicht kann man - wenn Sie mir diesen Gedanken gestatten - es ganz einfach so sagen: Fragen wie die von Grossman hätten auch in einem Flugblatt der Geschwister Scholl stehen können.
David Grossman ist kein Politiker. Auch als Essayist ist er zuallererst Schriftsteller, im Hauptberuf Erzähler, und das auf unnachahmliche Weise. Auch beim Erzähler Grossman, dem Autor umfangreicher Romane, einer Doppelnovelle, von Kinderbüchern, Erzählungen und Theaterstücken, finden wir die selbe gedankliche und intellektuelle Freiheit wie bei dem Redner Grossman auf dem Rabin-Platz. Wahrscheinlich - vermute ich - sind die Freiheit des Erzählers und die des Essayisten untrennbar miteinander verbunden und der Essayist ohne den Erzähler nicht denkbar.
Wer davon erzählen kann, wie sich der kleine Momik in dem meisterlichen Roman Stichwort: Liebe eine flügellahme Krähe packt, bei der es sich, wie der Bub vermutet, um das mysteriöse „Nazi-Biest“ handelt, von dem die Erwachsenen in seinem Beisein stets nur im Flüsterton sprechen; wie er den widerspenstigen Vogel im Kartoffelkeller einsperrt und zähmt, damit das „Nazi-Biest“ endlich aufhört, die Familie zu quälen und zu malträtieren, - wer eine solche Figur (er)schaffen kann, meine Damen und Herren, der braucht auch als Schriftsteller Mut, und zwar den allergrößten.
Er muss sich auch seine erzählerische Freiheit gegen heftigste Widerstände erst erkämpfen. Er weiß, dass er sich weit vorwagt auf ein Gelände, für das es keine Wegkarten gibt, und er tut dies, weil er – wie Momik - zwischen all den traumatisierten Überlebenden und verzweifelten Davongekommenen verstehen will, was nicht zu verstehen ist.
Dieses „Der-Andere-Werden“, sich empathisch und emphatisch Einfühlen in einen Anderen, und sei es der ärgste Feind, beschreibt Grossman mit unglaublicher Präzision und größter Anschaulichkeit in dem Aufsatz „Den anderen aus dem eigenen Innern kennenlernen oder die Lust, Gisela zu sein“, den Sie ebenfall in dem Band Die Kraft zur Korrektur nachlesen können.
„Ich bin der Meinung“, schreibt Grossman da, „ dass wir, die Menschen – das heißt die sozialen Wesen, die wir sind und die wir uns gern mit unseren menschlichen, warmen, empathischen Beziehungen zu unserer Familie, unseren Freunden, unserer Gemeinschaft brüsten - , auf äußerst kompetente und vielschichtige Weise nicht nur dem F e i n d gegenüber isoliert und verbarrikadiert sind, sondern in gewisser Weise g e g e n ü b e r j e d e m N ä c h s t e n – oder besser gesagt: Wir isolieren uns selbst, damit sein Inneres nicht in uns hineinstrahlt.
Wir sichern uns vor all den Ansprüchen fremder Innenleben, die auf uns gerichtet sind und die ununterbrochen auf uns niederprasseln.“ [S.38]
Dieser Selbstisolation und Selbst-Verbarrikadierung - oder, einfacher gesagt: dieser Einsamkeit aus Angst setzt Grossman die -Lust, Gisela zu sein - entgegen.
Den Mut, sich auch in den Anderen zu versetzten, und sei es der Feind – wie zum Beispiel in den KZ-Kommandanten Neigel in Stichwort: Liebe; oder hineinzukriechen in einen die Qualen der Eifersucht bis in die intimsten Details genießenden Ehemann, wie in Das Gedächtnis der Haut, oder einfach in eine ängstliche, liebe Seele wie Momiks Mutter Gisela an ihrer ewig ratternden Singer-Nähmaschine – diesen Mut zur schutzlosen, möglichst vollkommenen Empathie mit Freund und Feind, mit Mordlust und Todesangst, mit den Lauen und den Kaltgewordenen hat David Grossman in seinem literarischen wie in seinem publizistischen Werk so überaus eindrücklich gezeigt. So schafft er andere Blickwinkel, ungewohnte Perspektiven; so schafft er Freiräume fürs Nachdenken, vermeidet alles Ideologische, arbeitet sich zu immer neuen Abgründen der condition humaine, also den Bedingungen der menschlichen Existenz , vor.
David Grossman liefert mit seinen Büchern unschätzbare Beiträge zu der wahrscheinlich niemals endgültig zu beantwortenden Kardinalfrage, die alle große Kunst umtreibt: Was ist das, ein Mensch?
Für diese Beiträge sind wir, die Leser, und nicht zuletzt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dessen Aufgabe es sein muss, die Freiheit des Denkens und des geschriebenen Wortes zu bewachen wie einen Augapfel, zutiefst dankbar.
Lieber David Grossman:
toda raba (todA rabA)!
Vielen Dank!
Wolf Dieter Eggert, München 24.11.2008
Es gilt das gesprochene Wort.
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Ansprache von Christian Ude
Sehr geehrter Herr Grossman, meine Damen und Herren,
zum 29. Mal wird heute der Geschwister-Scholl-Preis verliehen, gemeinsam vom Landesverband Bayern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und von der Landeshauptstadt München. In diesen annähernd 3 Jahrzehnten hat er ein ungewöhnlich hohes Renomee gewonnen und die Verleihungsveranstaltungen waren immer herausragende Ereignisse in jedem Jahr des Münchner Gedenkens. Heute erhält der israelische Schriftsteller David Grossman diesen angesehenen und bedeutsamen Preis. Zum einen für seinen Band „Die Kraft zur Korrektur“, die Sammlung wichtigster Stellungnahmen zum politischen Geschehen.
Zum anderen erhält David Grossman den Geschwister-Scholl-Preis 2008 aber auch für sein Gesamtwerk, das in mehr als 30 Sprachen übersetzt worden ist.
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In seinem Essay „Bücher, die mich gelesen haben“ heißt es:
„Die Willkür einer äußeren Kraft, die mit Gewalt in das Leben eines Menschen, einer Menschenseele eindringt, ist ein Thema, das mich in beinahe all meinen Büchern beschäftigt.“
Das beginnt beim Trauma des Holocaust und reicht bis zur permanenten Abfolge von Gewalt und Gegengewalt, unter denen Israelis und Palästinenser nun schon seit Generationen leiden. Die Art und Weise, in der sich David Grossman mit diesen Themen auseinandergesetzt hat, weist ihn als einen der herausragenden Autoren der israelischen Gegenwartsliteratur aus. Dass er sich überhaupt damit auseinandergesetzt hat, als einer, „der mit dem Schweigen aufgewachsen war“, „in Jerusalem, in einem Stadtteil und in einer Familie, wo die Menschen nicht in der Lage waren,
das Wort 'Deutschland' auch nur auszusprechen, und auch nicht den Begriff 'Shoa'“,
dass David Grossman auch das in Israel lange Zeit ausgesparte Thema der Besatzung zur Sprache gebracht hat, weist ihn zudem als herausragend mutigen Autor aus, der sich auch unbequemen Wahrheiten und unbewältigten Missständen stellt, sie aus den Tabuzonen und Sperrbezirken der offiziellen Sichtweise holt, in Worte fasst, analysiert, kommentiert. Sein literarisches Werk entspricht damit genau den Kriterien des Geschwister-Scholl-Preises, weil es „von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben“.
Eines ist es allerdings nicht: die kritische Auseinandersetzung, die David Grossman leistet, ist kein Vehikel zur Beförderung eines wohlfeilen, selbstgefälligen, anmaßenden Kritisierens am Staate Israel. Und es kann auch kein Deckmantel sein, unter dem sich alter Antisemitismus in einem neuen Gewand manierlich wieder in Mode zu bringen wünscht. Dazu ist die deutsche, und ganz besonders auch die Münchner Geschichte viel zu eng und zu ursächlich mit der Geschichte Israels und der israelisch-palästinensischen Tragödie verwoben.
Zwar fand der 1. Zionistische Kongress nicht in München statt, wie es von Theodor Herzl ursprünglich beabsichtigt war. Nachdem die jüdische Gemeinde Münchens Herzls
Pläne von einem eigenen „Judenstaat“ als Antwort auf die gescheiterte kulturelle Assimilation und bürgerrechtliche Emanzipation rundweg abgelehnt und der Deutsche Rabbinerverband auf Initiative des Münchner Gemeinderabbiners Cosman Werner erklärt hatte, deutsche Juden sollten nur eine Nationalbewegung unterstützen, nämlich die deutsche, wurde der Kongress, den Herzl bereits als Gründung des „Judenstaats“ sah, am 28. August 1897 nicht in München, sondern in Basel abgehalten. Aber gleichwohl ist München auf ganz andere Weise doch zum Ausgangspunkt des jüdischen Exodus ins gelobte Land Palästina geworden, als Wiege des Nationalsozialismus, als ehemalige „Hauptstadt der Bewegung“, als Ausgangspunkt des NS-Terrors, der Ausgrenzung, Verfolgung, Vertreibung und planmäßigen Ermordung der deutschen und europäischen Juden.
Hier in München versammelte sich nach dem Holocaust, nach dem 2. Weltkrieg, nach der Befreiung durch die US-Streitkräfte, im Januar 1946, auch die internationale „Conference of Liberated Jews“, die zu einem Meilenstein der Gründung des Staates Israel wurde. Die Teilnehmer, unter ihnen auch David Ben Gurion, waren sich einig: Ein Leben irgendwo in der Diaspora kam für die Überlebenden nicht mehr in Frage. Daran hatte der Kongressvorsitzende Zalman Grinberg schon bei der Eröffnungsveranstaltung im Münchner Rathaus keinen Zweifel gelassen, als er die Schaffung eines jüdischen Staates als letzten Ausweg für eine Heimstatt aller Juden mit den Worten beschwor:
„Hier, in der ehemaligen 'Hauptstadt der Bewegung', haben sich die Reste der Juden Europas, die noch lebenden Opfer einer einmaligen geschichtlichen Tragödie, versammelt, um endlich einen Ausweg aus der entsetzlichen Vergangenheit zu finden und um der Welt ihr Recht auf Leben zu verkünden. Die Dichter, Schriftsteller, Nobelpreisträger, Professoren, Entdecker und Erfinder, die wir Europa geschenkt haben, dienten dem Fortschritt des Kontinents. Aber plötzlich wurde das Abendland zum Nachtland. Endlos waren die Reihen derer, die in die Krematorien wanderten. Sechs Millionen Menschen opferten wir. Nur ein kleiner Rest konnte von den Alliierten gerettet werden. Ein paar hunderttausend Menschen sind geblieben, die alles verloren, was ihnen lieb und teuer war. Wir wollen nicht in Europa bleiben. Palästina hat nie aufgehört, unsere Heimat zu sein.“
Hier in München, von der Konferenz der befreiten Juden, erging dann auch die Forderung an die Vereinten Nationen, die Gründung eines unabhängigen jüdischen Staates ohne Aufschub voranzutreiben. Am 29. November 1947 stimmte die UN-Generalversammlung der Aufteilung des britischen Mandatsgebiets von Palätina in einen jüdischen und einen arabischen
Staat zu.
Im Mai 1948 proklamierte David Ben Gurion die Unabhängigkeit des Staates Israel.
Schon vor diesem historischen Hintergrund verbietet sich jede Instrumentalisierung des Nahost-Konflikts etwa zu Zwecken der deutschen oder Münchner Vergangenheitsbewältigung und Vergangenheitsrelativierung von selbst. Umso mehr, als Israel ja in vielerlei Hinsicht auch ein Vorbild gibt: als einzige wirkliche Demokratie im Nahen Osten, als Staat, der es mit einer ungeheuren Integrationsleistung geschafft hat, Millionen von Zuwanderern aus über 120 Ländern eine neue Heimat zu geben, der sich durch eine vitale, weithin prägende Kultur auszeichnet, der Spitzenpositionen von der Landwirtschaft bis zur Hochtechnologie einnimmt.
Der Frieden allerdings ist auch über 60 Jahre nach der Staatsgründung in weiter Ferne. Doch um es mit David Grossman zu sagen: „Natürlich liegt die Verantwortung für diesen Zustand keinesfalls allein beim israelischen Staat.“ Denn: „Der Nahe Osten hat Israel zu keiner Zeit integriert und nie als einen Staat betrachtet, der zu Recht und nicht nur gnadenhalber existiert. Die arabischen Staaten haben noch nie Toleranz oder Verständnis für die besondere Lage Israels und für das besondere Schicksal des jüdischen Volkes aufgebracht, und man kann sie von ihrem Teil der Verantwortung für die Tragödie der ganzen Region nicht freisprechen.“ Dies fordert eine differenzierte Betrachtung ein.
München jedenfalls hat aus seiner Geschichte gelernt. Das zeigt nicht nur der Brückenbau zwischen Juden und Nichtjuden in unserer Stadt, für den die Errichtung der neuen Münchner Hauptsynagoge und des Jüdischen Gemeindezentrums am St.-Jakobs-Platz ein deutliches Zeichen gesetzt hat, das zeigt auch der Brückenbau zwischen München und Israel.
Der Grundstein dafür wurde bereits 1960 gelegt. Damals startete München als erste deutsche Stadt ein Besuchsprogramm für ehemalige Bürgerinnen und Bürger, die in der NS-Zeit verfolgt, vertrieben und nach Israel emigriert sind.
Es folgte das „Haus München“ in Tel Aviv, eine internationale Begegnungsstätte, die mit Unterstützung der Stadt geschaffen wurde.
Und es sind noch weitere Brückenschläge gefolgt:
Vor 10 Jahren, aus Anlass des 50-jährigen Gründungsjubiläums des Staates Israel z. B. die Internationale Frühjahrsbuchwoche in München mit der bis dahin umfangreichsten Präsentation israelischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Oder die Fülle von Veranstaltungen, die heuer zum 60jährigen Jubiläum stattgefunden haben. Allen voran die Lesungen, Vorträge und Debatten der „Literaturhandlung“ von Rachel Salamander, zu deren Gästen auch David Grossman gehört hat.
München steht zur Solidarität mit dem Staat Israel und tritt für sein Existenzrecht ein, ohne Wenn und Aber – wenngleich die israelische Regierungspolitik auch manches Rätsel aufgibt, wenngleich da die Grenzen des Verstehens auch überschritten wurden und werden. Eine demokratische Regierung ist auch der Kritik der Opposition und der Medien ausgesetzt und selbstverständlich auch ausländischer Kritik, aber diese Kritik darf niemals, das sind wir unserer Geschichte schuldig, das Lebensrecht Israels, in Frage stellen oder relativieren.
Was wir für Israel wünschen, ist Frieden durch Annäherung. Eine ideologische Lösung des Nahost-Konflikts kann es nicht geben, und schon gar keine militärische, sondern nur eine pragmatische.
Dazu braucht es den offenen Dialog, wie er beispielsweise auch vom Historischen Seminar Jüdische Geschichte und Kultur dieser Universität über das Verhältnis von „Judentum und Islam“ angestoßen wurde.
Und dazu braucht es auch die „Kraft zur Korrektur“, wie David Grossman sie so eindringlich fordert.
Das ist die Kraft und der Mut, sich aus erstarrten, stereotypen Denkweisen zu befreien und bis an die Grenzen des politisch Vorstellbaren zu gehen, um den Knoten des Hasses zu lösen und den ewigen Kreislauf aus Rache und Vergeltung zu durchbrechen. Das nimmt auch und vor allem die Politik in die Pflicht.
Und es mag vielleicht ein kühner, aber auch ermutigender Gedanke sein, dass die Literatur einem neuen politischen Denken und Handeln auf die Sprünge helfen könnte.
So ehrt der Geschwister-Scholl-Preis 2008 mit David Grossman einen Autor, der auch unter den schwierigsten persönlichen Umständen den Mut zum unabhängigen Denken und zum „Einfühlen in den Anderen“ nie aufgegeben hat. Ich darf im Namen der Landeshauptstadt herzlich zu dieser Preisverleihung gratulieren.
Christian Ude, München 24.11.2008
Es gilt das gesprochene Wort.
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Laudatio von Rachel Salamander
Jedes Mal, wenn David Grossman nach München kommt, geht er im Englischen Garten spazieren. Er macht diesen Spaziergang jedoch nie alleine: „Ich nehme immer eine ganze Schar von Freunden in den Englischen Garten mit“, so erzählt er, „Walter Benjamin, Kurt Tucholsky und Else Lasker-Schüler, Ernst Lubitsch, Franz Werfel, Bruno Schulz und Primo Levi, solche, die in München gelebt haben und andere, die nie dort waren. Ich nehme“, sagt David Grossman, „jedesmal ein Buch mit, das einer von ihnen geschrieben hat, oder ein Gedicht oder eine Szene aus einem Film. Wir gehen durch den Park und reden, und ich denke immer daran, wie es sein muss, wie ein verfolgtes Tier durch diese herrliche Natur zu irren.“
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Ja, die Verfolgten und Verbrannten, die ins Exil Getriebenen, die Erschlagenen lassen diesen israelischen Schriftsteller nicht los. Dabei ist er gar kein Kind von Überlebenden des Völkermordes – auch wenn man häufig das Gegenteil liest. David Grossmans Vater wanderte 1936 als Kind aus Polen nach Israel aus, das damals noch Palästina hieß und britisches Mandatsgebiet war. Seine Mutter wurde dort geboren. Und doch hatte auch Grossmans Familie Teil an der großen, der existenziellen Angst, die sich seit jenem Genozid über die kollektive jüdische Psyche herabgesenkt hat. Immer ging man sozusagen auf Zehenspitzen, weil man ja schon wusste, was aus den Anderen, den Nebenmenschen, im schlimmsten Fall herausbrechen konnte – man wusste, wie leicht Nebenmenschen sich in Gegenmenschen verwandeln konnten.
„Ein Druck auf den Schalter der Erinnerung, und das gesamte Geschehen wallt auf“, schreibt David Grossman, auch bei der jungen Generation „den scheinbar furchtlosen Juden, die sich von den Ängsten der Eltern befreit glaubte“. Und David Grossman weiter: „Wieder und wieder werden wir darauf gestoßen, dass beinahe jeder von uns, ob er will oder nicht, eine Art Brieftaube des Holocaust ist, die immer wieder zu diesem Ausgangspunkt zurückkehrt.“
Doch es ist natürlich nicht nur der Holocaust, der aus David Grossman, dem Israeli, einen ganz und gar europäischen Schriftsteller, einen von uns macht. Auch die Literatur hat ihn zum Europäer geformt. Zu seinen Urahnen zählen Kafka, Joyce, Thomas Mann. In seinem Essayband „Die Kraft zur Korrektur“ erzählt Grossman, wie er als Achtjähriger die Geschichten vom Scholem Alejchem, dem Klassiker der jiddischen Literatur, für sich entdeckte. Sie müssen bedenken: Das war in jenem Israel, in dem David Grossman 1954 hineingeboren wurde, noch sehr ungewöhnlich. Als echter Sabre, als israelisches Rauhbein, interessierte man sich damals nicht für die jüdische Diaspora. Jahrelang hatten die Zionisten einen unbarmherzigen Kulturkampf gegen das Jiddische geführt. Die jiddische Sprache und alles, was mit ihr zusammenhing, galt als degeneriert, verachtenswert, gehörte zum Opferdasein der Juden. David Grossman aber konnte sich von Hersch Leijb, von Schneur, von Menachem Mendel, von Iwan Pitzkor und Pater Alexej nicht losreißen. Ihre Welt wurde seine Welt. Dabei las er die Geschichten von Scholem Alejchem in hebräischer Übersetzung, und weil das Hebräische damals noch sehr jung war, gab es Wörter im Text, die der kleine David nicht verstand. Vielleicht war es dieses Erlebnis – Lesen, ohne alles zu verstehen -, das aus Grossman einen Schriftsteller machte.
In Wahrheit sind aber die beiden Felder, die aus Grossman einen Europäer machen, gar nicht voneinander zu trennen. Der Holocaust und die Literatur – diese Themen überschneiden sich. In „Die Kraft zur Korrektur“ erzählt David Grossman von dem Tag – einem Holocaustgedenktag in Israel -, an dem ihn plötzlich die schwarze Erkenntnis überfiel, dass all die Figuren aus den Geschichten von Scholem Alejchem, die er so sehr liebte, umgebracht worden waren. Dass in den Orten, die Kasrilivke und Jehupitz heißen, heute keine Juden mehr leben. Dabei macht Grossman eine erhellende Anmerkung. Ihm fällt auf, dass Juden, wenn sie von jenem Genozid sprechen, DORT sagen, von DORT reden. Nichtjuden sagen DAMALS. Es ist, als wenn in der Vorstellung der Juden alle Zeiten gleichzeitig existierten, alle Vergangenheiten und die Gegenwart, und so gibt es also ein Land namens DORT, in dem Hersch Leijb und Schneur und Menachem Mendel noch lebendig sind, und es gibt ein DORT, in dem der Völkermord an Europas Juden immer noch begangen wird, jetzt, in diesem Augenblick, während ich zu Ihnen spreche. DORT, in dem die Geschwister Scholl ihre Flugblätter in der Münchner Universität abwerfen. Ein DORT, in dem die Mitglieder der Weißen Rose von einem Nazirichter zum Tode verurteilt werden. Jetzt, in diesem Augenblick.
David Grossmans zweiter Roman, der den Titel „Stichwort: Liebe“ trägt und 1986 in Israel erschien – die deutsche Übersetzung kam 1991 heraus – handelt genau von jenem Land, das DORT heißt. „Stichwort: Liebe“ wurde von israelischen Kritikern enthusiastisch gefeiert. Grossman erzählt von einem neunjährigen Jungen namens Momik, der im Jerusalem des Jahres 1959 lebt. Er will das grauenhafte Geheimnis von DORT begreifen, das Schweigen der Erwachsenen um ihn herum durchbrechen. Er könnte ein normales Kind sein, lebte er nicht mit Verrückten zusammen. Nachts schreien sie, tagsüber sind sie ängstlich und hysterisch und haben seltsame Wahnvorstellungen. Sie tragen tätowierte Nummern und sprechen unentwegt von der „Nazi-Bestie“, die in jenem Land DORT haust. Auch Momiks Großvater Anschel Wasserman murmelt dauernd etwas von jenem Nazi. Am Ende versucht Momik, im Keller eine „Nazi-Bestie“ zu züchten, damit er sie zähmen kann. Er will sie lehren, von nun an nur noch gut zu den Menschen zu sein, damit das Schreien und das Irre-Sein um ihn herum endlich aufhört.
Dreissig Jahre später ist Momik Schriftsteller geworden, und immer noch will er jener „Nazi-Bestie“ auf die Schliche kommen und verstehen, was es mit jenem unheimlichen DORT auf sich hat. Das gelingt ihm erst, als er sich von den Fakten löst, als er aus der Fantasie über das Verhältnis seines Großvaters zu dem Nazikommandanten schreibt, der ihn einst gequält hat. David Grossman erzählt aus verschiedenen Perspektiven: nicht nur aus dem Blickwinkel des Opfers, sondern auch aus den Augen der „Nazibestie“ schaut er auf die Welt. Aus den Augen dessen, „der für das Leiden blind ist“.
Sie wissen, im vergangen Jahr gab es viel Aufregung um Jonathan Littels Roman „Die Wohlgesinnten“, der aus der Perspektive eines SS-Mannes erzählt ist. Darf er das? Darf ein Schriftsteller sich in einen Mörder hineinversetzen? Darf ein Jude das? David Grossman hat es Littel schon vor zwanzig Jahren vorgemacht. Naturgemäß erhebt sich sofort die Frage: Kann man sich überhaupt in die Motive seines Feindes einfühlen? Lässt es den Nazi nicht zu harmlos erscheinen, wenn man ihn versteht? Die Antwort lautet: David Grossman kann das. Und der Nazi erscheint überhaupt nicht harmlos, wenn man sich in ihn hineinversetzt. Im Gegenteil.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, David Grossman bekommt heute den Geschwister-Scholl-Preis verliehen. Die Geschwister Scholl kamen aus einem deutschnationalen, antisemitischen Umfeld – sie waren eigentlich dafür prädestiniert, mit den Massen unter dem Hakenkreuz zu laufen, zu grölen, zu marschieren. Aber die Mitglieder der „Weißen Rose“ haben sich an den eigenen Haaren aus diesem Sumpf gezogen, sie weigerten sich, Masse zu sein. „Wenn das deutsche Volk schon so in seinem tiefsten Wesen korrumpiert und zerfallen ist, dass es....das Höchste, das ein Mensch besitzt und das ihn über jede andere Kreatur erhöht, nämlich den freien Willen, preisgibt...wenn die Deutschen, so jeder Individualität bar, schon so sehr zur geistlosen und feigen Masse geworden sind, dann, ja dann verdienen sie den Untergang“ heißt es im 1. Flugblatt. Sehr früh sprachen die Mitglieder der „Weißen Rose“ im 2. Flugblatt vom Schicksal der Juden. Die „Weiße Rose“ war bereits Mitte 1942 bestens informiert. Sie sprechen von der Tatsache, dass seit der Eroberung Polens dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialische Art ermordet worden sind. Und es heißt: „Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschheitsgeschichte an die Seite stellen kann.“
Warum ist es wichtig, im Zusammenhang mit David Grossman an diese Flugblätter zu erinnern? Aus zwei Gründen: Erstens scheint hier ein wichtiges Motiv seiner eigenen schriftstellerischen Arbeit auf: die Kritik an den Massen, der tiefe Schrecken davor, dass Menschen sich in eine Herde, einen Mob verwandeln und ihre Freiheit aufgeben. Zweitens, weil in diesen Flugblättern, wenn Sie mir gestatten, hier einen jiddischen Ausdruck zu verwenden – Tacheles geredet wird. Bei David Grossman wird auch Tacheles geredet. Ein herausragendes Motiv seiner schriftstellerischen Arbeit scheint mir die Sprachkritik zu sein, eine Sprachkritik, die gegen die sprachliche Lüge und die Irreführung der Menschen ankämpft, eine Sprachkritik, die ausbricht aus den gepanzerten Sprachformeln, in denen die Bürokraten, aber vor allem die Medien, unsere Wirklichkeit einzusperren suchen.
Im Gespräch mit den Deutschen, schreibt der Sprachkritiker David Grossman, muss man den richtigen Ton für einen „unverkrampften Dialog“ finden, will man nicht der Versuchung nachgeben, „emotionale Manipulationen mit ins Spiel zu bringen“. Bevor ein richtiger Dialog stattfinden kann, muss jeder der beiden Partner „die Geschichte, die er sich selbst erzählt, von allen Spuren der Sentimentalität, Idealisierung und Dämonisierung läutern und sich dazu erziehen, auf Manipulationen jeder Art zu verzichten.“ Das Schlüsselwort lautet dabei: erziehen, denn David Grossman ist als Sprachkritiker immer auch ein Erzieher in des Wortes altmodischer Bedeutung – ich schrecke nicht einmal vor dem Adjektiv „konservativ“ zurück. Er glaubt, dass Menschen durch die richtige Erziehung lernen können, sich von der von der Wirklichkeit verdorbenen Sprache zu befreien und dass hier der Schlüssel liegt, damit aus Massemenschen, die in der dunklen Menschenmasse verschwinden, wieder richtige Individuen werden. „Präzises Formulieren hat heilende Wirkung“, sagt Grossman, es „reinigt von den Manipulationen der Sprachschänder, man wird wieder Mensch“.
David Grossman, sie wissen es, gehört in Israel zu den Anhängern der Friedensbewegung. Manchmal muß er seine Gesprächspartner daran erinnern, daß er gar kein Politiker, sondern Schriftsteller ist. Grossman setzt sich schon lange für eine Zweistaatenlösung mit einer unabhängigen palästinensischen Nation an der Seite Israels ein. Der Königsweg, um zu diesem Ziel zu gelangen, führt Grossman über die Sprache. Als Romancier, schreibt er, sei es sein innigster Wunsch, mit dem „Anderen“ zu verschmelzen, den „Anderen“ von innen zu sehen. Das bedeutet auch: den Feind als Menschen mit Sehnsüchten und Träumen zu erkennen. Schriftsteller besitzen nach Grossman „die Kraft zur Korrektur“, eine „weltverändernde und welterschaffende Kraft.....die Kraft des tikkun“, also „Korrektur in dem tiefsten Sinn, den ihr die Kabbala“ verleiht, tikkun bedeutet wörtlich Reparatur. „Wenn wir schreiben“, so Grossman, „spüren wir die Welt in Bewegung, flexibel, voller Möglichkeiten“ – die Sprache führt „weg aus der Enge der Klischees“. Und so schrieb David Grossman das erste hebräische Buch Israels, das im Westjordanland spielt, „Das Lächeln des Lammes“, das sofort ein Erfolg wurde. „Das Lächeln des Lammes“ ist eine Selbstbefragung über die Verdrängungen innerhalb der israelischen Geschichte. Ihr Protagonist heißt Uri, so wie Grossmans Sohn, der 2006 im Libanonkrieg fiel. Uri spricht aus, was man in der Öffentlichkeit nicht sagen durfte. Uri ist mit dem törichten Lächeln des Lammes eine Art israelischer Schwejk – er stört die öffentlichen Lügen und das Verschweigen.
David Grossman erwies sich eben immer wieder als Pionier: So wie er zu den ersten gehörte, die in Israel den Holocaust literarisch thematisierten, über die Verwüstungen sprach, die dieser Völkermord im Leben der Kinder und Enkel anrichtete – so wie er der erste jüdische Schriftsteller war, der sich in einen Nazizäter einzufühlen suchte – so gehörte er auch zu den Ersten seiner Generation, die über die Palästinenser schrieben. Sein Motiv ist immer die Sprachkritik, hinter die von der Sprache verzerrte Realität zu kommen: Ein Versuch, jenseits der Klischees über die Nazizeit nachzudenken; ein Versuch, jenseits der Beschönigungen die Wirklichkeit der Besatzung zu sehen. Kurz: Grossman versucht poetisch, dichterisch Tacheles zu reden. 1987 bereiste er das Westjordanland, um sich selbst ein Bild zu machen: „Was ist bloß mit uns geschehen?“ wollte er wissen. Das Ergebnis dieser Reise war der Bericht „Der gelbe Wind“. Der Titel stammt von einem arabischen Mythos, „Rih Asfer“, gelber Wind heißt jener schreckliche Ostwind, der alle paar Generationen wütet und die Welt in Brand setzt. Grossman geht scharf mit der israelischen Gesellschaft ins Gericht, aber er kritisiert immer auch die Palästinenser und ihre Führung, die nie eine Chance verpassten, wenn es darum ging eine Chance zu verpassen.
David Grossman ist ein Freund des Friedens, aber er ist kein Pazifist. Er begrüßt ausdrücklich, dass Israel eine schlagfertige Armee hat, dass die Juden endlich nicht mehr wehrlos sind. Den Libanonkrieg des Jahres 2006, in dem sein Sohn Uri fiel, hielt er für legitim: Israel habe damals „mit Recht eine Gegenoffensive“ gestartet. Grossman ist und bleibt ein patriotischer Israeli, ein Zionist. „Die pure Tatsache der Existenz des Staates Israel ist für mich eine Art Wunder, das uns als Volk geschah“, sagt er. „Ein politisches, nationales und menschliches Wunder. Ich vergesse dies nicht einen Moment. Auch nicht, wenn vieles in unserer Realität mich empört und demprimiert, auch nicht, wenn das Wunder immer mehr in Routine und Armseligkeit, Korruption und Zynismus zerfällt.“ David Grossmans Kollege Amos Oz hat diese Haltung einmal in die prägnante Formel gefasst: „Ich mag Israel nicht, aber ich liebe es.“
Es gibt einen Roman von David Grossman, den wir auf Deutsch noch nicht lesen können: „Ischá boráchat mi b’sora“ lautet sein hebräischer Titel: eine Frau flieht vor der Nachricht. Er handelt von Ora, einer Mutter, und ihrem Sohn Ofer, und ihrem Geliebten Avram; Grossman schildert, wie Ofer sich 2003 freiwillig zu einer Militäraktion im Westjordanland meldet, und hinterher flüchtet Ora, sie will das Entsetzliche, das Undenkbare nicht wissen, nicht hören, sie will nicht erreichbar sein. Und Avram, ihr Geliebter, fordert sie auf, zu erzählen. Er flüstert, er schreit sie an. Wie in Trance erzählt Ora dann von ihrem gemeinsamen, ihrem gefallenen Kind. Als Grossman anfing, dieses Buch zu schreiben, lebte sein Sohn Uri noch. Er nahm regen Anteil an diesem Roman. Und dann holte die Wirklichkeit das Buch ein und machte es auf grauenhafte Weise wahr. Grossmans Sohn Uri, der brave Soldat Schweijk aus „Das Lächeln des Lammes“, fiel im Jahr 2006 – unmittelbar vor dem Waffenstillstand mit der Hisbollah. In einem offenen Brief hatten David Grossman, Amos Oz und A. B. Jehoshua schon zuvor den Waffenstillstand gefordert. Als Uri ums Leben kam, war der Roman noch nicht fertig, der Schmerz gab ihm die letzte Form. Das Schreiben, sagt David Grossman, verlieh ihm die Kraft, mit dieser Tragödie zu leben. Das „präzise Benutzen der Worte“ sei ihm zur Medizin geworden.
Lieber David Grossman, Sie schreiben in Ihrem Essayband „Die Kraft zur Korrektur“ über den jüdischen Glauben, dass jeder Mensch am oberen Ende des Rückgrats einen Knochen hat, den „lus“, der die Essenz seiner Seele enthält. Auch wenn der Mensch zerstört wird, auch wenn man ihn tötet, verbrennt, erschlägt, sein „lus“ bleibt erhalten und mit seiner Hilfe wird er dereinst wiederauferstehen. Wenn man Ihre Bücher liest, wird klar, was Ihr persönlicher „lus“ ist. Leider gibt es nur ein furchtbar altmodisches Wort dafür, nämlich „Menschenliebe“. Das ist die Quelle, aus der Sie die Kraft schöpfen, jeden Tag weiterzuleben, und es ist die Quelle, aus der Ihre schriftstellerische Phantasie sprudelt. Ihre Menschenliebe, Ihr „lus“, ist der tiefere Grund für Ihren Widerwillen gegen Schönfärbereien und Phrasen, und Ihre Menschenliebe macht Sie – im allerbesten, im klassischen Sinn dieses Begriffes – zu einem naiven Schriftsteller. Sie entscheiden sich bewußt für die Naivität, weil Sie kein Zyniker werden wollen. Wenn Sie heute den Geschwister-Scholl-Preis verliehen bekommen, dann ehren wir damit aber zugleich die israelische Gesellschaft, in der bei aller Kritikwürdigkeit ein „lus“ wie der Ihre zur Geltung kommt.
© Dr. Rachel Salamander, München 24.11.2008
Es gilt das gesprochene Wort.
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Dankesrede von David Grossman
Schalom und Guten Abend.
Ich möchte zunächst den Mitgliedern der Jury danken, die mir den Geschwister-Scholl-Preis verliehen hat, meinen Verlegern und Lektoren in deutscher Sprache, meinen Übersetzerinnen ins Deutsche, sowie den Freunden, die heute Abend von weit her nach München gekommen sind, und begrüße Herrn Prof. Dr. Huber, Rektor der Universität, Herrn Ude, Oberbürgermeister der Stadt München, Herr Eggert, den Vorsitzenden des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern und die Laudatorin, Dr. Salamander, und natürlich Sie, verehrtes Publikum.
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Ich bin sehr bewegt, diesen nach den Geschwistern Scholl benannten Preis entgegenzunehmen, und möchte Ihnen gerne erklären, warum er für mich so wichtig und bedeutsam ist
Vor einigen Jahren erzählte mir ein nicht mehr junger jüdischer Mann folgende Geschichte: In seiner Jugend in Wilna, das schon von den Nazis besetzt war, spielte er mit Freunden auf dem Schulhof Fußball. Jüdische und christliche Jungen kickten zusammen, es war ein wildes, begeistertes Spiel, als plötzlich überall in der Stadt die Lautsprecher ertönten und eine "Akzia" ankündigten.
Kurz darauf stürmten deutsche Soldaten den Schulhof und nahmen die jüdischen Jugendlichen fest. Eine Stunde später steckten sie bereits in einem Zug, der sie in die Vernichtungslager fuhr. Der Zug fuhr nahe am Schulhof vorbei. Die Jungen schauten durch die Ritzen des Waggons und sahen, wie die anderen dort weiter Fußball spielten.
Eine kleine, nicht besonders dramatische Geschichte. In jener Zeit geschahen, wie wir wissen, weitaus entsetzlichere Dinge. Und doch lässt mich diese Geschichte, seit ich sie gehört habe, nicht mehr los. Sie erzählt mir vor allem von einer raffinierten und zweifelhaften Fähigkeit des Menschen: Er kann beschließen, nicht zu wissen, was direkt um ihn herum wirklich passiert. Beschließen, sich selbst keine Rechenschaft darüber abzulegen. Einfach die Augen zu verschließen und weiterzumachen, als sei nichts geschehen,
Meine Damen und Herren,
Sie verleihen mir heute diesen ehrenvollen Preis, benannt nach zwei jungen Menschen, die eine für sie schwierige und gefährliche Entscheidung trafen: Nicht die Augen zu verschließen. Nicht weiterzumachen, als geschehe nichts. Im Gegenteil: Sie beschlossen, alles zu sehen. Sie gingen durch die Welt, als hätten sie sich die Augenlider ausgerissen, und sie legten Rechenschaft über alles ab, was sie sahen.
Und als sie sahen, was geschah, hatten sie den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen. Sie nannten Mord – Mord, Böses – böse, Wahnsinn – Wahnsinn. Sie weigerten sich, jene Sprache und die Denkmuster zu übernehmen, die die Regierenden, das Militär, die Presse, eine riesige Propagandamaschine und der 'Zeitgeist' für sie geschaffen hatten. Bei ihrem Prozess fragte sie der Präsident des Volksgerichtshofs, wie sie ihre Taten erklären könnten, und Sophie Scholl antwortete ihm in ihrer klaren und einfachen Aufrichtigkeit: „Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen.“
Sie haben angefangen, und das war sehr mutig. Ich weiß nicht, wer von Ihnen, die Sie hier in diesem Saal sitzen, in der Lage gewesen wäre, zu tun, was sie getan haben. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage gewesen wäre, zu tun, was sie getan haben. Hätte ich wohl den Mut gehabt, so dermaßen anders zu sein, so einsam, mir selbst so treu inmitten einer ganzen Gesellschaft, eines ganzen Volks, das anders dachte und anders handelte? Ich hoffe, dass ja, aber es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich sei mir sicher.
Ich habe Stichwort: Liebe, einen Roman über die Schoah, geschrieben, um unter anderem genau auf diese Frage zu antworten: Wie hätte ich mich verhalten, wenn ich damals gelebt hätte? Hätte ich es gewagt – oder wäre ich überhaupt in der Lage gewesen –, in diesem alle mitreißenden, gewalttätigen Strudel ich selbst zu bleiben? Natürlich habe ich mich zuerst gefragt, wie ich mich als Jude verhalten hätte. Als einer, dem alles, was ihm teuer war, genommen wurde, und der selbst schon zur Vernichtung bestimmt war. Wie hätte ich versucht – und hätte ich die Kraft dazu gehabt, meine Selbstständigkeit zu behalten, den menschlichen Funken in mir zu bewahren, in einer Situation, die ganz und gar darauf angelegt war, mich vom Antlitz der Erde und aus dem Bewusstsein überhaupt auszulöschen?
Doch noch eine andere Frage beschäftigte mich beim Schreiben von Stichwort: Liebe. Wenn ich in jener Zeit Deutscher gewesen wäre, wäre ich in der Lage gewesen, gegenüber dieser Welle, die beinahe das ganze deutsche Volk erfasste, standhaft zu bleiben? Hätte ich in mir Antikörper gegen das gewalttätige, rassistische, nationalistische Fieber gefunden, das eine ganze Nation befallen hatte? Hätte ich rechtzeitig erkannt, wo ich bereits anfange, mit dem System und seinen so raffinierten Mechanismen zu kooperieren, die dazu führen sollten, dass normale, seelisch ausgeglichene und auch ziemlich moralische und anständige Leute nach und nach auf ihr selbstständiges Denken, ihren freien Willen und auf die Werte einer universalen Ethik, nach der sie bisher gelebt hatten, aufgeben?
Liebe Freunde,
es fällt mir schwer, Deutsche anzusprechen, wenn ich über die Schoah rede. Fast immer habe ich den Eindruck, dass es mir nicht gelingt, genau auszudrücken, was ich sagen will. Immer ist da eine kleine Verzerrung drin, eine Überempfindlichkeit oder eine Übertreibung. Statt meinen ganz persönlichen Schmerz auszudrücken, ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich als "Vertreter von" rede. Ich bin mir gegenüber misstrauisch geworden, prüfe, ob ich nicht unbeabsichtigt an einer Stelle emotional manipuliere, an der absolute Klarheit vonnöten wäre. Ich weiß zum Beispiel, wie bestimmend bei mir das Gefühl der Kränkung ist, wenn ich daran denke, was in der Schoah passiert ist. Nicht Wut, Hass oder der Wunsch nach Rache, vielmehr eine bittere Kränkung, dass Menschen anderen so etwas angetan haben.
Und ich weiß, mit keinem anderen Gefühl als dem der Kränkung kann der Mensch sich dermaßen in resignierter Verbitterung festfahren, und die ist an sich schon demütigend.
Und siehe da, gerade der Fall der Geschwister Sophie und Hans Scholl und ihrer Freunde aus dem deutschen Untergrund der 'Weißen Rose', ermöglicht mir, und vielleicht nicht nur mir, über etwas zu sprechen, was hier in München, in Deutschland, in Europa passiert ist, ohne in den Bann eben dieser Kränkung zu geraten.
Die Geschwister Scholl haben ja mitten in einer Realität des Schweigens und des Nichthinschauens, in der sich die meisten von einer Welle nationalistischer und rassistischer Triebe mitreißen ließen, mutig ihre kleine Untergrundzelle gegründet. Obwohl es die Ausnahme ist, formuliert ihr Handeln ganz klar die schlichte und doch so schwer umzusetzende Tatsache, dass in beinahe jeder Situation ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit besteht; dass auch in einem System absoluter Willkür jeder Mensch einen gewissen Spielraum hat, selbstständig zu bleiben, sich anders zu definieren, und sich damit diesem Herrschaftssystem zu entziehen.
Willkür, Tyrannei, und die Art, wie Menschen ihnen begegnen, beschäftigen mich bei allem, was ich schreibe. In fast jedem meiner Bücher gibt es den Versuch – oder den Wunsch – geradezu untergrundartige 'Zellen' des freien Willens, der Individualität und Idiosynkrasie zu schaffen, und das inmitten einer Realität von Willkür, Zwang und Entfremdung. Die Figuren, die ich beschreibe, kämpfen fast immer gegen ein starres, gleichgültiges und undurchdringliches ‚System', sei es die erniedrigende Realität militärischer Besatzung oder die Art und Weise, wie wir alle lernen, uns an die erste uns als Menschen begegnende Willkür zu gewöhnen, die Willkür des Körpers und die Art und Weise, in der unsere Seele – die freie, bewegliche und scheinbar unendliche – gezwungen ist, sich an die beschränkte physische Dimension zu gewöhnen. An diese ganze komplizierte Bürokratie unseres Körpers.
In meinen anderen Büchern, vor allem in meinem letzten Roman Bis ans Ende des Landes, der nächstes Jahr auch auf Deutsch erscheinen wird, und auch in Die Kraft zur Korrektur habe ich unter anderem versucht, die Lebenswirklichkeit im heutigen Israel zu beschreiben: Zum einen die Gefahr, den Ängsten und der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, die der andauernde Konflikt mit den arabischen Staaten erzeugt, zum andern die gewaltigen Anstrengungen, die intime und verletzliche Zelle der Familie in einer derart brutalen Wirklichkeit zu beschützen.
Schaut man sich heute die Israelis – und auch die Palästinenser – an, kann man sehen, wie die äußerliche Willkür der 'Lage', in der sie gefangen sind, bis in die allerinnersten Zellen beider Völker eindringt. Wie sie sich schon über Jahrzehnte in einem festgefahrenen, beinahe automatischen Mechanismus von Schlag und Gegenschlag, von Resignation und sofort danach kurz anhaltender Euphorie bewegen. Man kann sehen wie wir alle – Israelis und Palästinenser – Geiseln einer Situation wurden, in der wir von Tag zu Tag weniger Handlungsfreiheit, Gedankenfreiheit und Willensfreiheit haben.
Ich schreibe seit dreißig Jahren, und ich weiß: Jedes Mal, wenn ich über einen Kampf gegen die Willkür schrieb, entdeckte ich von Neuem, dass, wenn ich so genau wie möglich die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und dieser Willkür beschrieb, etwas in mir sich veränderte. Etwas in mir wurde erlöst. Wenn ich noch ein bisschen mehr um die Genauigkeit der Beschreibung, der Empfindungen, der feinsten Nuancen dieses Kampfes gerungen hatte, wenn ich mich selbst in meinen Worten sozusagen neu formuliert hatte - in einer um mich herum immer mehr erstarrenden Situation –, dann kam ich einen Millimeter weiter an jener Stelle zwischen mir und dem, was mir vorher als etwas Unüberwindbares erschienen war.
Nicht, dass ich einen besseren Weg gefunden hätte, mit den widerstreitenden Kräften von Körper und Seele zu leben. Nicht, dass ich wirklich verstanden hätte, wie ein Mensch sich selbst so auslöschen kann, dass er Bestandteil einer Vernichtungsmaschine wird. Nicht, dass die militärische Besatzung enden würde, wenn ich ihre Untaten nur möglichst genau beschriebe. Doch meine innere Einstellung zu dem Unabänderlichen änderte sich dann. In dem Moment, wo ich zu schreiben begann, stand ich jedweder Willkür nicht mehr dort gegenüber, wo ich vor dem Schreiben verharrt war. In Situationen, die mir wie ewig, absolut und monolithisch vorgekommen waren – unumstößlich wie ein Urteil des Himmels oder von Menschenhand – taten sich mir neue Nuancen auf. Ich erschuf mir eine gewisse Bewegungsfreiheit. Gegenüber dem Unabänderlichen, was mich vorher mit Angst und Verzweiflung gelähmt hatte, wurde ich frei. Ich war kein Opfer mehr.
Und für mich, als Jude und Israeli, als der Mensch, der ich heute bin, mit all meinen Erfahrungen und all dem, was ich in den letzten Jahren erlebe, ist das Gefühl, nicht Opfer zu sein, nicht das Opfer einer wie auch immer gearteten Willkür sein zu müssen, – vielleicht das Tröstendste, was ich erreichen kann.
"Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten" ist, wie Sie wissen, eine Zeile von Goethe, die der Vater von Hans Scholl diesem in seiner Kindheit oft vorgelesen hatte. Dies sind die Worte, die Hans wenige Minuten, bevor man ihn zur Hinrichtung abholte, mit Bleistift an die Wand seiner Zelle geschrieben hat.
Auch wenn Hans und Sophie Scholl und ihre Mitkämpfer vom damals herrschenden System ermordet wurden, waren sie doch in einem tieferen Sinn keine Opfer. In einer totalitären tyrannischen Realität hatten sie sich ihre eigenen Gesetze und Wertmaßstäbe gegeben. An einem Ort und in einer Zeit, in der Dutzende Millionen Menschen "wir" grölten, haben sie "ich" gesagt.
Gibt es einen größeren Mut, eine größere Freiheit?
Ich danke Ihnen, dass Sie mich für würdig befunden haben, den nach ihnen benannten Preis zu erhalten.
Übersetzung aus dem Hebräischen © Anne Birkenhauer
Es gilt das gesprochene Wort.
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Dankesrede von David Grossman (englisch)
Shalom and good evening.
First of all I would like to express my thanks to the members of jury who found me worthy of the Geschwister Scholl Prize, my publishers and editors in Germany, my translators into German, my friends who traveled to Munich from far to be with me this evening. I would like to welcome Professor Dr. Huber, Rector of the university, Mr. Ude, Mayor of Munich, Mr. Eggert, Chairman of the Association of German Publishers and Booksellers – the National Association of Bavaria and the city of Munich, Dr. Salamander who made the introductory remarks and of course all of you, venerated ladies and gentlemen.
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I am deeply moved to receive this prize in memory of Sophie and Hans Scholl. I would like to devote a few short minutes to explain why this prize is so important and significant for me.
A few years ago, a Jewish man, not a young one, told me this story: One day in his youth, in Vilna, which was then already under Nazi occupation, he was playing football with his friends in a schoolyard. The boys in the game were Jews and Christians, and the game was intense and exciting. Suddenly, loudspeakers throughout the city blared out that an aktzia was in progress.
Moments later, German soldiers charged into the schoolyard and rounded up the Jewish boys. An hour after that, they were on a freight train heading for their deaths. As the train went through the city, it passed by the schoolyard. The boys looked through the cracks in their boxcar and saw that their friends were still playing football.
That’s a little story, and not a particularly dramatic one. In those days, we all know, many more horrible events occurred. Nevertheless, I have not been able to forget it. More than anything else, it tells me about one of the most sophisticated and dubious human faculties—the ability to decide not to know what is really going on next to you. Not to take stock of it. Simply to close your eyes and carry on, as if nothing has happened.
Today you are awarding me this honorable prize, named after two young people who made a difficult, hugely risky decision—not to close their eyes. Not to carry on as if nothing were happening. Quite the opposite: they decided to see everything. They walked through the world as if their eyelids had been removed, and they took stock of what they saw.
Seeing it, they dared to call it by name. They called murder—murder, evil—evil, and madness—madness. They refused to make use of the language and thought processes fashioned for them by the regime and the army and the press and a huge propaganda apparatus and the entire zeitgeist. At their trial, the presiding judge of the people’s court asked them how they explained their actions, and Sophie Scholl responded with her simple, lucid innocence: “Somebody, after all, had to make a start.”
They made a start. They were very brave people. I do not know whether any one of us, here in this room, would be capable of doing what they did. I do not know if I could do what they did. I do not know if I would have the courage to be so different, so alone, so true to myself within a society—within an entire nation—that thought and acted differently. I want to believe that I would, but I would be lying if I said that I am certain.
I wrote See Under: Love, a novel about the Shoah, the Holocaust, in part in an effort to respond to this very same question: How would I have behaved had I lived in those times? Would I have dared, would I have been capable, of remaining myself in such a violent, total, powerful vortex? Of course, I first asked myself how I would have behaved as a Jew. As one stripped of all that was dear to him, and who himself is designated for annihilation. How would I try—and would I have the strength?—to preserve my selfhood, the spark of humanity within me, in a situation in which all had been arranged to obliterate me from the earth, and from everyone’s awareness?
But there was another question on my mind when I wrote See Under: Love. Had I been a German in those times, would I have been capable of withstanding that storm that swept away nearly the entire German nation? Would I have been able to find within me the antibodies to the chauvinistic, racist, violent fever that overcame an entire society? Would I have managed to discern, in real time, that parts of me were beginning to collaborate with the sophisticated mechanisms put into operation by the regime? These were aimed at inducing more or less regular, mentally balanced people, ones who were moral to a reasonable degree, to divest themselves of their capacity for independent thinking, their free will, and the universal moral values according to which they had previously lived.
My dear friends, I find it difficult to address Germans about the Holocaust. I almost always feel that I am unable to say precisely what I seek to express. There is always a slight distortion—caused by oversensitivity, or overstatement. Sometimes, instead of expressing my personal pain, I find myself speaking as a “representative.” I am endlessly suspicious of myself, and check to see if I am not, even unintentionally, being emotionally manipulative where absolute precision is essential. I know, for example, how insulted I feel when I think about what occurred in the Holocaust. Less than anger or hatred or the desire for revenge; rather, I feel indignant and insulted that such things were done to human beings.
And I know that feeling insulted can, more than any other emotion, immobilize a person and send him into a defeated, bitter sullenness that itself can humiliate the person who feels it.
And here, the case of Sophie and Hans Scholl and their fellow-members of the Weisse Rose underground enables me, and perhaps not just me, to speak about what happened here, in Munich, and in Germany and in Europe, without getting trapped in feeling that I have been insulted.
The Scholls and their friends formed a tiny and daring underground cell in defiance of an overwhelming reality of silence, of willful blindness. It was an exceptional act, yet it clearly highlights a fact that is all so simple, yet so hard to act on: that in nearly every situation we retain a modicum of free will; that even in a place where despotism rules, each and every person still has some way of defining himself in a different, independent way. And by doing so, he can free himself from the total domination of the system.
Despotism and tyranny, and the way people cope with them, preoccupy me in all my writing. Nearly every book I have written represents an attempt—or a wish—to create clandestine “cells” of free will, of uniqueness and idiosyncrasy in the very heart of despotism, intimidation, and alienation. The characters I create almost always struggle within some sort of rigid, apathetic, unresponsive apparatus, whether it is the humiliating reality of military occupation, or the way we all learn to adapt to the primal despotism that we encounter as human beings—the tyranny of the body, and the way that our souls, which seem at first to be free, flexible, and infinite, are compelled to adjust to the physical, obtuse, impassive dimension of our being, to the complicated bureaucracy of the body.
In some of my books, in particular the most recent one, Until the End of the Land, which will come out in Germany next year as well as in Die Kraft zur Korrektur, I have attempted to describe, among other things, the reality of life in Israel today, the danger of surrendering to fears and hopelessness that our lengthy conflict with the Arab countries has brought about. I wanted to describe the huge effort it takes to protect the delicate, intimate, vulnerable family within such brutal and violent circumstances.
When we look today at Israelis—and Palestinians—we can see how the despotism of “the situation” in which they are trapped seeps into the innermost recesses of both peoples. For decades they live within a rigid system, in an almost automatic apparatus of strike and counter-strike, of despair and anxiety and, immediately afterwards, short-lived euphoria. We can see how all of us, Israelis and Palestinians, have become prisoners of a situation in which, day by day, we have less freedom of action, less freedom of thought, less freedom of will.
*
I have been writing for thirty years now, and I learned long ago: each time I write about a struggle with despotism of one sort or another, I rediscover that in describing as precisely as I can the relationship between the individual human being and that despotism, something within me changes. Something inside me is redeemed. If I am a bit more adamant about portraying the details, better capturing feelings precisely, getting at the finest nuances of this struggle, if I write in a new way, in my own words, within a situation that ossifies around me—I progress one more millimeter into a void that had just beforehand seemed impassible and immutable.
Not that I have found a better way of living in peace with the contradictions of the body and the soul. Not that I have really understood how a human being is capable of expunging his self to the point that he becomes a cog in a machine of annihilation. And if I were to produce a minutely precise depiction of the injustices of military occupation, the occupation would not end. But my internal position with regard to that which cannot be changed—it itself changes. From the moment I begin to write, I no longer stand before despotism—despotism of any kind—in the same place I was stuck before I began writing. Circumstances that seemed eternal, absolute, set in stone—decreed by heaven or by man—now reveal nuances I had not seen before. I have created a degree of freedom of movement relative to them. I have been emancipated from that which had previously paralyzed me in fear and despair. I am no longer a victim.
For me, as a Jew, as an Israeli, as the person I am today, with all that I have been through, and with all that I have undergone during the last few years, the feeling that I am not a victim, that I do not have to be a victim of any despotism, is perhaps the most comforting reward I receive from writing.
“Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten” (“Despite the violent forces against us, we must overcome”) is, as I’m sure you know, a line from a poem by Goethe that Hans Scholl’s father used to read him when he was a boy. They were the words that Hans scrawled with a pencil on the wall of his prison cell a few minutes before he was taken to his death.
Even if Hans and Sophie and their comrades were murdered in the end by the system that ruled then, in the deepest sense they were not its victims. Within a reality of all-encompassing tyranny, they determined for themselves their laws, their principles, and their values. In a place and in a time in which tens of millions of people together roared “we,” they said: “I.”
Can you imagine any courage, and freedom, greater than that?
I thank you for having found me worthy of receiving a prize bearing their names.
Translation from Hebrew © Haim Watzman
Es gilt das gesprochene Wort.
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