Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, studierte Philosophie an der Universität Neapel Federico II. Nach seinem Abschluss arbeitete er als Journalist für den Corriere del Mezzo-giorno, Il Manifesto und L`Espresso. Für "Gomorrha", sein erstes Buch, wurde Roberto Savia-no u.a. mit dem Premio Viareggio ausgezeichnet. "Gomorrha" löste 2006 in Italien, aber auch den europäischen Nachbarländern, eine breite Diskussion über die weltweite Macht der Camorra aus. Der Autor erhielt in der Folge Morddrohungen und lebt heute unter Polizeischutz. Er ist Mitglied der Organisation "Osservatorio sulla camorra e l`illegalità".
Preisträger 2009
Roberto Saviano
Das Gegenteil von Tod
Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß
Carl Hanser Verlag
München 2009
ISBN: 978-3-446-23335-5
Autor
Begründung der Jury
Der Geschwister-Scholl-Preis 2009 wird dem italienischen Schriftsteller Roberto Saviano verliehen. Er erhält den Preis für sein aktuelles Buch "Das Gegenteil von Tod", aber darüber hinaus für sein engagiertes Schreiben insgesamt, das im Sinne des Preises „von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem gegenwärtigen Verantwortungsbewusstsein wichtige Impulse zu geben.“ Roberto Saviano hat den Mut, die Wahrheit zu sagen – er spricht Dinge aus, die in Italien fast niemand zu sagen wagt und die damit unseren Blick auf Italien verändert haben.
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Schon mit seinem literarischen Debüt „Gomorrha“ (2006) hat er einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt, wie die Mafia, speziell die Camorra, immer noch das Leben der Menschen systematisch zerstört. Es ist die Klarheit und Intensität seiner Sprache, die seine Essays, Reportagen und Erzählungen so erschütternd macht: nüchtern, gleichzeitig empathisch, zart und in höchstem Maße poetisch. Seine literarische Wucht ist gespeist aus dem Zorn über die weltweite Macht der organisierten Kriminalität – trotzdem ist Roberto Saviano fähig wie kein anderer, die komplexen Sachverhalte eindringlich und allgemeinverständlich darzustellen. Damit leistet er ungeachtet seiner eigenen Situation einen einzigartigen Beitrag zum Verständnis des Leidens seiner Mitmenschen in seiner Heimat. Wenn er schreibt "Es gibt Orte, an denen geboren werden schuldig werden bedeutet. Der erste Atemzug und der letzte Schnupfen sind ein und dasselbe. Sie bedeuten Schuld", öffnet er uns die Augen für das unentrinnbare Dilemma und vermittelt uns eine Ahnung dessen, was es bedeuten kann, wenn eine kriminelle Organisation ein Land mit Terror und Leid überzieht.
Auch wenn der gerade 30jährige Roberto Saviano nicht mehr ohne Leibwächter leben kann und in seinem Land sogar als Nestbeschmutzer beschimpft wird – er schreibt weiter. Der Geschwister Scholl-Preis ehrt somit einen Autor, der unter Einsatz seines Lebens dagegen anschreibt, eine ausweglos erscheinende Situation als gegeben hinzunehmen.
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Verleihung
Am 16. November 2009 nahm Roberto Saviano in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München den Preis entgegen. Oberbürgermeister Christian Ude und Wolf Dieter Eggert, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern e.V., überreichten als Stellvertreter der Stifter die Urkunde. Die Laudatio hielt Giovanni di Lorenzo.
Ansprache von Wolf Dieter Eggert
Magnifizenz,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Roberto Saviano,
meine sehr verehrten Damen und Herren, im Saale und aus der Jury,
Ein Wort ist zurückgekehrt ins Bewusstsein, in unsere Alltagssprache. Ein einziges Wort, das alle bisherigen Geschwister-Scholl-Preisträger charakterisiert, allen voran unseren heutigen, dreißigsten und selbst erst dreißigjährigen Roberto Saviano: ich spreche von „Zivilcourage“.
Worte verblassen, wenn sie nicht gelebt werden. Sie blenden sich aus dem allgemeinen Bewusstsein aus, wenn Frauen und Männer sie nicht durch ihr Denken und Handeln verkörpern.
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„Zivilcourage“ braucht keine große Bühne, sie ist eine grundsätzliche Haltung gegenüber den Mächtigen einerseits, den Machtlosen andererseits. Als Raum genügt der „Zivilcourage“ ein S-Bahnabteil, eine Website, ein Ausstellungsraum oder ein Schreibtisch. Die Demagogen der Macht hingegen brauchen Parteitagsgelände, Fußballstadien und ihnen hörige Medienkonzerne.
In der Begründung der Jury, der ich an dieser Stelle für ihr Engagement und ihre gewissenhafte Lesearbeit danken möchte, heißt es, Roberto Saviano spreche in dem prämierten Buch „Das Gegenteil von Tod“ Dinge aus, die in Italien fast niemand zu sagen wagt und die damit unseren Blick auf Italien verändert haben.
In Wochen, da sich unser Blick auf Italien mit jeder Rede, jedem Auftritt eines Politikers, dessen Namen wir in diesem Rahmen nicht nennen wollen, trübt, gewinnt jeder Satz von Roberto Saviano, geschrieben oder gesprochen, an Bedeutung. Seine Sprache ist frei von Phrasen, schnörkellos, doch voller menschlicher Wärme und Empathie. Die Erzählfiguren, auch aus Savianos neuem, im Carl Hanser Verlag erschienenen Buch „Das Gegenteil von Tod“ sind grandiose Gegenentwürfe zu den Bösewichtern unzähliger Camorra- und Mafiafilme. Ob Sie, Herr Saviano, die Verzweiflung einer 17jährigen schildern, deren Bräutigam in Afghanistan fiel, oder die Trauer von Müttern, deren tote Söhne Soldaten oder Polizisten geworden waren, um nicht der Camorra dienen zu müssen, aus jedem Ihrer Sätze sprechen Mitgefühl und faktenkundige Analyse. Ihr engagiertes Schreiben gibt Denkanstöße und rührt an – ein Grund vielleicht, warum Sie so viele Leser begeistern und so zu einer Symbolfigur des „anderen“ Italien geworden sind.
Vom „anderen“ Italien zum „anderen“ China: Es war längst an der Zeit, China als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse einzuladen. Gastgeber zu sein, hieß für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Mächtigen der Volksrepublik China höflich als Gäste zu behandeln und – die Machtlosen, die schreibenden Dissidenten und Bürgerrechtler Chinas, als gerne gesehene Gäste in alle Veranstaltungen einzubeziehen. Wenn mancher Feuilletonist vom Börsenverein mehr Mut und mehr entschiedene Worte verlangt hat, so ist dies durchaus verständlich, doch ging es in Frankfurt nicht um Zivilcourage, sondern um Diplomatie. „Zivilcourage“, sprachlich geformt vom Mut eines einzelnen Bürgers – ohne Amt und Uniform – ist nicht auf eine Institution wie den Börsenverein zu übertragen. Als Gastgeber musste er seinen offiziellen Gästen aus China mit aller Höflichkeit begegnen, gleichzeitig aber den chinesischen Bürgerrechtlern in Frankfurt ein hell erleuchtetes Forum bieten, um ihre Sicht der kulturellen und politischen Zustände in China öffentlich zur Sprache zu bringen. Dies, meine ich, ist dem Börsenverein gelungen. Und darum geht es auch heute:
Der Geschwister-Scholl-Preis 2009 und seine Verleihung in der Aula der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität sollen ein Zeichen setzen und Ihnen, Roberto Saviano, ein Schutzschild der Solidarität bieten. Schreibend geriet Buchautor Saviano selbst in den Sog der Gewalt: Todesdrohungen, von Prominenten erkämpfter Polizeischutz und abermals Todesdrohungen.
Es ist schlimm genug, dass Ihre Kritik am Organisierten Verbrechen vorerst ein Leben ohne Bodyguards, gepanzerte Fahrzeuge und getarnte Adressen unmöglich gemacht hat, um so wichtiger ist es, für Ihre Kritik an der Camorra und deren längst weltweit agierenden Komplizen eine möglichst breite Öffentlichkeit herzustellen. Auch dazu möchte dieser Preis beitragen. Jedes Gespräch über Sie in einer Buchhandlung entrückt sie ein kleines Stück dem Hass derer, deren Machenschaften und Verbrechen Sie offengelegt haben. Ihre Popularität als Journalist und Buchautor dient Ihnen als Wall gegen die Mafia.
Ihr heute prämiertes Buch „Das Gegenteil von Tod“, sehr einfühlsam von Friederike Hausmann und Rita Seuß ins Deutsche übersetzt, ist nicht Leben oder Überleben, sondern Lieben. Einzig die Liebe macht die ständige Konfrontation mit Gewalt, Verbrechen und Tod lebbar. Wer arm ist, schwebt in Todesgefahr – nicht nur in Süditalien, wo schlecht bezahlte Polizisten die Ärmsten der Armen aus dem Meer fischen und in Lager sperren müssen. Roberto Saviano über „Das Gegenteil von Tod“: „Ich schreibe von jungen Männern, für die es nur zwei Optionen gibt: Camorra oder Militär. Mafia-Opfer oder Kanonenfutter bei ‚Friedensmissionen‘. Ich sehe meine Heimat in einem permanenten Kriegszustand. So oder so: Hier steht man immer an der Front.“
Seit „Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra“ steht der Autor selbst an dieser Front und überlegt, sein Heimatland zu verlassen oder – wie er es formuliert hat: „Das ist der Widerspruch meines Lebens: Ich bin inzwischen berühmt und – gejagt wie ein Verbrecher. Jeden Tag wundere ich mich, dass mir so viele Menschen zuhören. Und frage mich gleichzeitig: Wie komme ich wieder raus aus dieser Geschichte?“
Als Ihre Leserinnen und Leser können wir nur auf ein glückliches Ende dieser Geschichte hoffen! Welch ein Glück für uns alle, dass es Sie, Roberto Saviano, in Italien gibt! Und zwar nicht im reichen Norden, sondern im Süden Italiens, den der Rest Europas opernhaft verklärt oder fürchtet. Nirgendwo wird Sprache heute so ernst genommen wie bei Ihnen in Italien: Da ist einerseits jener Machtmensch von tragischer Lächerlichkeit, der Macht und Sprache gleichermaßen missbraucht, und da ist aber auch Roberto Saviano, der eindrucksvoll recherchierte Zusammenhänge und komplexe Sachverhalte einfach zur Sprache bringt – der sagt, was andere ängstlich verschweigen, der Namen nennt, während andere wissend schweigen.
Roberto Saviano, ich verneige mich vor Ihrem Mut, Ihrer Zivilcourage und gratuliere Ihnen zum Geschwister-Scholl-Preis 2009.
Wolf Dieter Eggert, München 16.11.2009
Es gilt das gesprochene Wort.
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Ansprache von Christian Ude
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
herzlich willkommen zur bereits – man glaubt es ja kaum, es ist aber wirklich wahr – 30. Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises. Mit dem heutigen Abend wird der Preis zum 30. Mal verliehen und ich glaube, dass es in diesem Jahr in ganz besonderer Weise gelungen ist, dem Zweck des Preises tatsächlich zu dienen. Er soll geistige Unabhängigkeit, die unter Beweis gestellt worden ist mit einem Werk, auszeichnen und ehren, aber auch moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut und die Übernahme von Verantwortung für das Gemeinwesen
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Und diese Voraussetzungen sind beim diesjährigen Preisträger wohl in herausragender Weise erfüllt – nur selten hat die Veröffentlichung eines Werkes so viele Risiken mit sich gebracht und so viel Mut erfordert, wie es bei Roberto Saviano der Fall ist. Und wenn Sie befürchten sollten, dass ich ein wenig filibustern muss, um Zeit zu überbrücken, kann ich Sie trösten: eben ist Giovanni di Lorenzo eingetroffen, herzlich willkommen!
Meine Damen und Herren, das hier ist eine begehrte Veranstaltung, und wer den Zutritt je gefunden hat, kommt immer wieder, wir haben es wohl mit einer sachkundigen Gemeinde zu tun und so brauche ich Ihnen die Bedeutung des Preises und die Bedeutung vieler Preisträgerinnen und Preisträger nicht näher bringen – Sie können sich selbst daran erinnern. Nur an die Namensgebung sei kurz angeknüpft, denn die Geschwister Scholl haben den moralischen und gesellschaftspolitischen Maßstab vorgegeben, an den mit diesen Preisverleihungen erinnert werden soll, und es ist hier in diesem Gebäude geschehen, dass sie mit Flugblättern eine Diktatur anprangern, ein Verbrechen beenden und die Bevölkerung wachrütteln wollten. Und nur vier Tage später sind sie hingerichtet worden, übrigens von einem Volksgerichtshof, von dessen Richtern sich kein einziger in der bundesdeutschen Geschichte jemals wegen seiner Untaten hat rechtfertigen müssen.
Wir haben vor wenigen Tagen im Alten Rathaussaal 20 Jahre Mauerfall feierlich begangen. Ich glaube, dass die friedliche Revolution, die da nicht nur im Osten Deutschlands, sondern vorher schon in Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn und dann bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig und schließlich in Ost-Berlin stattgefunden hat, es auch einmal wert wäre, mit der dabei bewiesenen Zivilcourage geehrt zu werden. Das ist vielleicht eine Anregung für die Jury, denn der Sturz einer Diktatur mit den Mitteln des moralischen und intellektuellen Mutes ist tatsächlich vor 20 Jahren gelungen und auch dies sollten wir im Rahmen dieser Veranstaltung einbeziehen.
Wenn Sie die ersten dreißig Preise Revue passieren lassen vor Ihrem Gedächtnis – sie sind ja auch noch einmal im Faltblatt ausgeführt – dann ist unverkennbar der Schwerpunkt bei der Aufarbeitung des in deutschem Namen und von Deutschen begangenen Unrechts, dann ist der Schwerpunkt die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in all ihren Erscheinungsformen und in all den verschiedenen Lebensbereichen, die sie beherrscht und tyrannisiert hat. Aber es gab etwa in den vergangenen fünfzehn Jahren immer wieder auch Beiträge, die nicht nur mit der historischen Aufarbeitung – so notwendig sie ist – befasst gewesen sind, sondern mit einer beklemmend aktuellen Gegenwart.
Da ist vor allem natürlich die posthume Verleihung an Anna Politkowskaja im Jahr 2007 zu nennen, die ihr journalistisches, ihr publizistisches Wirken mit dem Leben bezahlen musste. Aber Gegenwartsthemen behandelten auch Necla Kelek, die sich mit religiösen Vorurteilen und Beklemmungen und Unfreiheiten auseinandergesetzt hat, oder das Buch „Deutschland, leicht entflammbar“ von Heribert Prantl.
Ich denke, dass der Geschwister-Scholl-Preis nur so Sinn macht, wenn er die Aufgabe der kritischen Aufarbeitung deutscher Vergangenheit nie aus dem Auge verliert, nie einen Schlussstrich zieht, den sich so viele herbeisehnen würden, aber doch auch Augenmerk auf aktuelle Herausforderungen richtet.
Heute müssen wir angesichts des Preisträgers feststellen: Noch nie hat ein Preisträger so intensiven Personenschutz – und zwar nicht nur bei einem Auftritt wie heute, sondern Tag für Tag – nötig gehabt wie er. Er hat sich – und zwar allein durch Veröffentlichung eines Buches und weiterer Schriften und journalistischer Auskünfte – der Lebensgefahr ausgesetzt, wurde von Morddrohungen verfolgt und ist es nach wie vor. Schon diese Risikobereitschaft, nicht zu resignieren vor einem gewalttätigen Gegner, sondern sich mutig entgegenzustellen, verdient unser aller Anerkennung und auch Dankbarkeit.
Mein Damen und Herren, Roberto Saviano ist schlagartig in Italien und international bekannt geworden, gefürchtet von denen, die es anging und verehrt von einer befreit aufatmenden Öffentlichkeit, seit er das Buch „Gomorrha“ veröffentlicht hat, das tiefe analytische und erzählerische Einblicke in das Schattenreich der Camorra ermöglicht hat – und das plötzlich das politische Interesse geweckt hat für ein Phänomen, von dem wir alle seit Kindertagen wissen, das aber nie mit der erforderlichen politischen Ernsthaftigkeit und Konsequenz aufgearbeitet worden ist. Der Autor hat deutlich gemacht: Dieses Unwesen artikuliert sich nicht nur in Schutzgelderpressung oder Drogen- und Waffenhandel und im Prostitutionsbereich – nein, es hat inzwischen Fuß gefasst in vielen angeblich ordnungsgemäßen Wirtschaftsbetrieben von der Bauindustrie über die Modebranche und den Tourismus bis hin zur Müllwirtschaft, die in und um Neapel ganz besonderen Anfechtungen unterworfen worden ist. Allein dies wieder ins Bewusstsein gerufen zu haben und zum öffentlichen Thema gemacht zu haben, ist schon verdienstvoll genug. Ich denke aber, dass wir allen Anlass haben zu zwei Klarstellungen, damit keine Missverständnisse entstehen:
Erstens: Wir sollten die fürchterliche Verstrickung von viel öffentlicher Meinung und auch von viel Staatsapparat in das Unwesen mafiöser Strukturen nicht zum Anlass nehmen, um uns moralisch über Italien zu erheben. Es muss uns bewusst sein, dass die schrecklichsten und massenhaftesten Verbrechen in Italien von Deutschen begangen worden sind, und wenn ein Mord an Zivilisten gegen Kriegsende erst in diesem Kalenderjahr von der deutschen Justiz abgeurteilt wurde – über 65 Jahre nach der Begehung der Mordtaten – dann muss uns bewusst sein: wenn wir mit dem Finger nach Italien zeigen, deuten vier Finger auf unsere Justiz und unsere gesellschaftlichen Reaktionsweisen zurück.
Und die zweite Bemerkung: es ist nicht getan mit einem schaurigen Blick in den Mezzogiorno – in den Süden Italiens. Wir müssen spätestens nach dem Mordanschlag im Jahr 2007 mit sechs Toten in Duisburg erkannt haben, dass dies längst ein internationales, ja ein globales Problem ist, das sich nicht auf Italien begrenzen lässt, sondern das international bekämpft werden muss. Der Preisträger hat dazu einen bemerkenswerten Satz gesagt in einem Interview: es sei nach Duisburg, nach diesem Anschlag, der schon unser Sicherheitsgefühl zutiefst irritiert und wach gerufen hat, wieder ganz still geworden um die Mafia und die Camorra und andere Organisationen – hier war es eine dritte. Und er sagt dazu, viele glauben, die Mafia sei nur stark und gefährlich, wenn sie schießt. Und genau das ist ein Irrtum, sagt er, am gefährlichsten ist es, wenn sie sich nicht veranlasst sieht, zu schießen, weil alles in ihrem Sinne läuft, weil sie alles beherrscht, weil sie alle erfolgreich eingeschüchtert hat.
Und er weist auf den sozialen Nachwuchs für diese Form der organisierten Kriminalität hin. Er sagt, dass es im Mezzogiorno, in den Elendsgebieten viele junge Männer gibt, die nur noch unterscheiden können, ob sie sich verdingen wollen für die organisierte Kriminalität oder für die Armee. Und Armeedienst heißt in den letzten Jahren auch hohes Risiko für die eigene Person, ob es im Balkankrieg war oder im Irak, an dem Italien teilgenommen hat, oder jetzt in Afghanistan. Und damit öffnet er uns die Augen für tatsächlich trostlose Perspektiven, denen viele junge Männer, die auch Nachwuchs für organisierte Kriminalität sein können, ausgeliefert sind.
Insofern glaube ich, es ist kein Buch, das wir einfach lesen, um uns in abfälligem Urteil bestätigt zu fühlen, sondern es sind Bücher, „Gomorrha“ zuerst und das aktuell heute ausgezeichnete über die jungen Leute im Mezzogiorno, die uns irritieren und beunruhigen müssen. Beunruhigung allein wäre aber nicht genug, der Zweck des Geschwister-Scholl-Preises ist schon, von der Einsicht und vom Erschrecken zur Aktion überzugehen, aktiv zu werden gegen Missstände, wie sie uns hier derartig drastisch vor Augen geführt werden.
Herzlichsten Glückwunsch zum 30. Geschwister-Scholl-Preis!
Christian Ude, München 16.11.2009
Es gilt das gesprochene Wort.
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Dankesrede von Roberto Saviano
Dieser Preis ist sehr viel mehr als nur ein Lob, und ich hoffe, dass es mir durch meine Worte gelingt, Ihnen zu verdeutlichen, was die Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises für mich bedeutet.
Wenn ich einen Preis verliehen bekomme oder eingeladen werde, erreichen mich häufig zunächst einmal Gerüchte, Gratulationen von Freunden oder Bekannten, die etwas aufgeschnappt haben, bevor mich die offizielle Mitteilung erreicht. „Ja weißt du, anscheinend sollst du eingeladen werden…“ „Ich gratuliere dir, was für eine Bestätigung, du bekommst anscheinend den Preis….“ Ich bin verwirrt und durcheinander, weil mich die Nachrichten langsam, oft unvollständig, über Umwege erreichen.
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Mich zu erreichen ist alles andere als einfach. Ich wechsle häufig den Aufenthaltsort und die Telefonnummer und selbst meine nächsten Bekannten erreichen mich nur mit Mühe. Nun ja, so lebe ich im Augenblick und empfinde es nicht als mein Leben. Ich wundere mich weiterhin darüber und – das ist etwas worüber ich lächeln muss – man schreibt mir Folgendes, wenn man mir mitteilt, dass ich einen der bedeutendsten Preise meiner Laufbahn verliehen bekomme: „Lieber Doktor Saviano, ich habe öfters versucht, Sie telefonisch zu erreichen, aber leider erfolglos“.
Und dann lese ich: „Die Stadt München und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Landesverband Bayern haben entschieden, Ihnen den Geschwister-Scholl-Preis 2009 zu verleihen“.
Ich erhalte einen Preis für Das Gegenteil von Tod: eine einfache Geschichte, eine Geschichte darüber, wie schwierig es ist, im Süden Italiens zu leben, und wie schwierig es ist, sich in diesem Land – meiner Heimat – für einen legalen Berufsweg zu entscheiden. Oft hat man keine Alternativen. Entweder du wanderst in den Norden aus, oder du meldest dich beim Militär. Der große Abwesende im Gegenteil vom Tod ist ein junger Mann, der wie viele andere beschließt, sich beim Militär zu melden und in den jüngsten Krieg zieht, an dem Süditalien beteiligt ist. Der „Jüngste Krieg“ im Süden meines Landes ist nicht der zweite Weltkrieg, sondern der Balkankrieg, der Afghanistankrieg, der Irakkrieg. Der Protagonist im Gegenteil vom Tod ist ein Mann aus dem Süden, wie die Mehrzahl der in Auslandsmissionen gefallenen Italiener, der in seinem letzten Krieg sein Leben verliert und zuhause eine Kindsbraut hinterlässt. Und ich erinnere gerne daran, dass in einem Land, das sich in Geschichten voller Mut und Leiden ausdrückt, das Gegenteil von Tod nicht das Leben, sondern die Liebe ist. Jene Liebe, die dich dazu zwingt, einen Menschen, den es nicht mehr gibt, nicht zu vergessen, jene Liebe zum Leben, die dich dazu bewegt, weit weg zu gehen, in Länder, von denen du nicht einmal weißt, wo sie liegen und deren Namen du nicht aussprechen kannst. Jene Liebe zu einer würdevollen Zukunft, die dich die Vorstellung vom Tod besser akzeptieren lässt, wenn die andere Waagschale bestenfalls leer ist.
Man sagt mir, dass durch den Geschwister-Scholl-Preis jedes Jahr ein Buch ausgezeichnet wird, das an das geistige Vermächtnis von Hans und Sophie Scholl erinnert. Sie haben sich als knapp Zwanzigjährige gegen das Naziregime aufgelehnt und wurden wegen ihrer Zivilcourage hingerichtet. Sie wurden in München von der Gestapo enthauptet. Mich schaudert. Man sagt mir, durch den Preis möchte man die Gedankenfreiheit und das Gefühl für politische, soziale und zivile Verantwortung fördern. Man sagt mir, dass vor mir unter anderen Anna Politkowskaja ausgezeichnet wurde.
Beim Lesen der Begründung werden meine Hände eiskalt und mein Gesicht fängt zu glühen an. Seit drei Jahren lebe ich ein Leben mit starken Emotionen. Den Sorgen um eine konstant prekäre Situation steht die geteilte Solidarität unglaublich vieler Menschen gegenüber. Dieser Preis versetzt mich in eine Zeit zurück, in der es Leute gab, die wirklich daran glaubten, die Welt mit Worten verändern zu können, weil sie die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Veränderung fühlten. Man war sogar bereit, für die eigenen Ideen zu sterben.
Die Verleihung dieses Preises ist für mich eine konkrete Bestätigung. Als habe ich nach so vielen Gedanken, so vielen Worten ein Ziel erreicht. Nachdem ich auf so viele Dinge verzichtet habe und jeden, der mir nahe stand, dazu gezwungen habe, auf ein normales Leben zu verzichten.
Mit einem Jahr Abstand zur Einladung der Schwedischen Akademie empfinde ich diesen Augenblick als einen der schönsten in meinem Leben.
Ich erkenne, dass in Nordeuropa, in Schweden wie in Deutschland die Ereignisse anderorts äußerst aufmerksam verfolgt werden. Mehr als in Italien empfindet man die Widersprüche der anderen Länder als die eigenen. An der Akademie in Schweden war letztes Jahr Salman Rushdie anwesend. Ich traf auf die Großzügigkeit eines Menschen, der nicht vergisst, was er durchgemacht hat. Hier in Deutschland werde ich wohl zum Mentor aufgrund des Respektes vor dem gefährlichen Wort. Jenes gefährliche Wort, das den Tod der mutigen Geschwister Scholl herbeiführte.
Während ich diese Rede verfasse, weiß ich, dass wahrscheinlich meine ganze Vorbereitung verschwinden wird. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich nur einen leeren Kopf, Herzklopfen, den üblichen Kloß im Hals und einen trockenen Mund fühlen werde. Ich weiß aber auch, dass ich die Namen jener aufrufen werde, die mir nahe stehen, und die durch ihre Worte ebenfalls unbequem wurden. Die Namen derer, die kaum Redefreiheit genießen und unter Drohungen leben, weil sie der kriminellen Macht lästig sind. Ich weiß, dass ich mich einer Literatur anvertrauen werde, die jeden in Orte des unvorstellbaren Schreckens versetzen kann. Nach Ausschwitz mit Primo Levi, in die Gulags mit Varlam Šalamov und nach Tschetschenien mit Anna Politkovskaja. Sie hat als letzte mit ihrem Leben für ihre Fähigkeit bezahlt, die Ungerechtigkeit in Tschetschenien Lesern auf der ganzen Welt vor Augen zu führen und ans Herz zu legen.
Wenn ich daran denke, wie sie gelebt haben, gestorben sind, und wenn ich an ihre immense Zerbrechlichkeit denke, fühle ich Ihnen gegenüber sehr viel Dankbarkeit, denn mit diesem Preis schützen Sie mich mehr als ein bewaffneter Personenschutz. Wer wegen seiner Worte stirbt, stirbt, weil jene Worte nur schwer die Ohren, Augen und Herzen der Menschen erreichen.
Und das rettet die gefährlichen Worte und ihren Verfasser: die Aufmerksamkeit der Menschen, der Leser.
Viele Intellektuelle bedauern den Verlust ihrer Rolle in der westlichen Gesellschaft und betrachten dabei mit Misstrauen und Ablehnung Popularität und starke Medienpräsenz. Als würde dadurch ein Werk seinen Wert verlieren. Als sei dies nur das Ergebnis der manipulativen Mechanismen des Marktes und der Medien. Als könne man das Publikum, dem man verpflichtet ist, nur als unkritische Masse betrachten. Meiner Meinung nach tut man vor allem dem Publikum Unrecht, denn genauso wie alle Bücher und Worte nicht gleich sind, so ist auch die gesamte Leserschaft nicht gleich. Die Leser können versuchen, sich zu entspannen oder etwas zu verstehen, sie können sich für die unbegrenzteste Fantasie oder die schmerzhafteste und schwierigste Wirklichkeitserzählung begeistern, sie können sogar dieselbe Person in unterschiedlichen Momenten sein: aber sie sind in der Lage zu wählen und zu unterscheiden.
Wenn das aber ein Schriftsteller nicht sieht, wenn er nicht mehr daran glaubt, dass eine ins Meer geworfene Flasche in die Hände eines Menschen gelangt, der bereit ist, ihm zuzuhören, und aufgibt, nicht das Schreiben und Veröffentlichen aufgibt, sondern aufgibt, daran zu glauben, dass seine Worte etwas mitteilen und bewirken können, dann begeht er auch ein Unrecht an sich selbst und an allen seinen Vorgängern.
Was mich an der Geschichte der Geschwister Scholl am meisten berührt hat, ist, dass sie voll und ganz an die Macht des Wortes geglaubt haben. Sie hatten Vertrauen in die deutschen Intellektuellen und glaubten, dass sich diese gegen das Naziregime auflehnen würden. Sie zögerten nicht, sogar öffentlich Flugblätter zu verteilen, in denen eine gewaltfreie Protestbotschaft vermittelt wurde, und als sie nach der Verhaftung verhört wurden, verloren sie nicht die Hoffnung und vertrauten immer noch auf ihre Worte und deren Macht, und übernahmen dafür die volle Verantwortung.
Diese jungen Menschen, die wegen ihrer Friedensidee gestorben sind, haben das gesamte deutsche Volk mit den wenigen Mitteln, die sie zur Verfügung hatten, das heißt den geschriebenen und gesprochenen Worten, rehabilitiert. Ihnen stand aber eine unverhältnismäßig größere nationalsozialistische Propaganda mit wesentlich wirksameren Zwangsmitteln gegenüber.
Es kommt einem seltsam vor, dies zu sagen, aber in manchen Teilen Europas und der Welt wären jene Worte und Flugblätter heute noch das Todesurteil ihrer Verfasser.
In diesen Ländern, die zwar nicht so weit entfernt und trotzdem anders als die unseren sind, ist das Schreiben – trotz der Gefahr – paradoxerweise schließlich gleichbedeutend mit dem Leben. Mancher denkt, dass Drohungen und Einschüchterungen zum Verbergen der Worte führen. Gerade dies passiert aber oft nicht. Statt der Stille geht man den unbegehbaren Weg des täglichen Kampfes, des andauernden und leisen Nahkampfes, wie bei einem Schattenkampf, zwischen dem, was das eigene Gewissen auferlegt und den legitimen Sorgen eines bedrohten Lebens.
Für mich persönlich ist das Schreiben gleichbedeutend damit, nicht auf meine Worte zu verzichten, mich nicht zu verlieren, mich nicht geschlagen zu geben, nicht zu verzweifeln, wenn alles mich zur Verzweiflung und Einsamkeit bringt.
Schreiben bedeutet, dass es einem gelingt, ein Wort in die Welt zu tragen, jemandem dieses wie einen Zettel mit einer geheimen Botschaft weiterzureichen, so wie diese Zettel, die man lesen, dann auswendig lernen und schließlich zerstören muss, indem der Zettel im Mund zerkaut und dann heruntergeschluckt wird. Schreiben bedeutet Widerstand. Wenn ich dann zurückblicke, sehe ich als einziges meine Worte, und ich erkenne mich nur in meinen Worten wieder.
In diesen Jahren habe ich dann die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit den Medien verstanden. Wenn dahinter nicht Leere, Klatsch und Fiktion stecken, die nur ablenken und trösten, sondern der Wille und der Wunsch von so vielen Menschen, zu wissen und zu verändern. Warum darf man nicht alle verfügbaren Mittel benutzen, um die Kräfte zu vereinen? Warum so viel Angst und Misstrauen vor dieser Auseinandersetzung mit den Medien haben?
Meine schlimmste Angst ist nicht diese starke Medienpräsenz, die so viele von oben herab verteufeln, sondern dass es ihnen gelingt, mich zu diffamieren, meine Glaubwürdigkeit zu zerstören und das in den Dreck zu ziehen, wofür ich mich verausgabt und wofür ich bezahlt habe. Das machen sie mit allen, die sich entschieden haben zu erzählen und zu denunzieren, sie haben versucht, das mit Anna Politkowskaja zu tun.
Es gibt einen Satz von Mutter Teresa, der mir in diesen Jahren oft durch den Kopf gegangen ist. Ein Satz, der wahr und schrecklich ist: „Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.” Wenn ich überhaupt einen Traum hatte, dann, dass ich mit meinen Worten etwas bewirke, beweise, dass das literarische Wort noch Gewicht und die Macht haben kann, etwas zu ändern. Trotz all der Dinge, die ich erlebt habe, wurde mein „Gebet” dank meiner Leser und dank der Menschen, die meine Arbeit prämieren, erhört.
Ich bin davon überzeugt, dass die Geschichte der vielen, zu vielen Schriftsteller, Journalisten und Aktivisten, die für ihre Ideen gestorben sind, und wahrscheinlich auch unsere Geschichte anders verlaufen wäre, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, viele zu erreichen. Nur die Augen der Leser, Zuschauer und Zuhörer können denjenigen, der filmt und schreibt, verteidigen. Sie sind die Wächter der Worte, für die sie sich entscheiden, sie in sich zu tragen und zu verbreiten. Dies darf nicht vergessen werden. Und daran denke ich, wenn ich an den ungezähmten Geist und die zarte Seele, die von der Weißen Rose symbolisiert werden, nachdenke.
Übersetzung aus dem Italienischen © Beatrix Luz
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Dankesrede von Roberto Saviano (italienisch)
Essere premiato non è una semplice lusinga è qualcosa di più e spero di riuscire, attraverso le mie parole, a spiegare ciò che significa per me, oggi, ricevere il premio dedicato ai fratelli Scholl.
Forse più eloquenti delle parole sono le sensazioni che il mio corpo ha provato quando mi hanno comunicato che quest'anno avevano deciso di assegnarlo a me.
Spesso, quando vinco un premio o ricevo un invito, prima che mi arrivi comunicazione ufficiale, mi giungono voci, complimenti di amici e conoscenti che captano frasi, cenni. “Sai, pare ti vogliano invitare…” “Complimenti, bella soddisfazione, pare tu abbia vinto…” Io mi sento frastornato, perché le notizie mi arrivano lentamente, sempre incomplete, sotterranee.
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Raggiungermi non è semplice, cambio spesso dimora e numero di telefono e anche le persone più vicine a me fanno fatica a rintracciarmi. Eppure questa che vivo continuo a non sentirla la mia vita, continuo a stupirmi – e questo mi fa sorridere – quando per comunicarmi che ho vinto uno dei premi più prestigiosi della mia carriere mi si scrive: “Caro dottor Saviano, ho cercato più volte di raggiungerla telefonicamente, ma purtroppo senza risultato”.
Poi leggo: “La città di Monaco e l'associazione libraria della Baviera hanno deciso di assegnarle, per l’anno 2009, il premio dedicato ai fratelli Scholl”. Ricevo un premio per Il contrario della morte: una storia semplice, la storia di quanto sia difficile vivere al sud Italia e di quanto sia difficile in quelle terre – nelle mie terre – fare una scelta di legalità. Spesso non ci sono alternative: o emigri al nord o ti arruoli. E il grande assente del Contrario della morte è un giovane uomo, un uomo come tanti, come troppi, che decide di arruolarsi e parte per l'ultima guerra che coinvolge il sud Italia. “Ultima guerra” al Sud del mio Paese, non è la Seconda guerra mondiale, ma la guerra dei Balcani, quella in Afganistan, quella in Iraq. Il protagonista del Contrario della morte, un uomo del Sud, come la maggior parte dei caduti italiani nelle missioni all’estero, nella sua ultima guerra perderà la vita, lasciando a casa una moglie bambina. E mi piace ricordare che, in una terra che si declina attraverso storie di coraggio e sofferenza, il contrario della morte non è la vita ma l’amore. Quell’amore che ti impone di non dimenticare chi non c’è più, quell’amore per la vita che ti fa andare lontano, in paesi che nemmeno sai dove siano e i cui nomi non sai pronunciare. Quell’amore per un futuro dignitoso che ti fa sembrare più accettabile l’idea di morire se sull’altro piatto della bilancia, nel migliore dei casi, non c’è niente.
Mi si dice che con il premio dedicato ai fratelli Scholl ogni anno viene premiato un libro che ricorda il lasciato spirituale di Hans e Sophie Scholl che, poco più che ventenni, si sono opposti al regine nazista e sono stati giustiziati, per il loro coraggio civile. Decapitati a Monaco dalla Gestapo: mi vengono i brividi. Mi si dice che il premio vuole promuovere la libertà di pensiero, il senso di responsabilità politica, sociale e civile. Mi si dice che prima di me è stata premiata, tra gli altri, Anna Politkovskaja.
A leggere le motivazioni le mani diventano gelate e il viso caldissimo. Sono tre anni che vivo una vita di forti emozioni, che alle preoccupazioni di una situazione costantemente precaria contrappone la partecipata solidarietà di moltissime persone, ma questo premio mi riporta indietro nel tempo, a quando c’era chi credeva veramente, perché ne sentiva necessità e urgenza, di poter cambiare il mondo con le parole. E per le proprie idee si era pronti anche a morire.
Il conferimento di questo premio per me è stato come ricevere una conferma concreta. È come se avessi raggiunto un obiettivo dopo tanti pensieri, dopo tante parole. Dopo aver fatto molte rinunce e aver costretto chiunque mi fosse vicino a rinunciare a una vita normale.
E a distanza di un anno dall’invito all’Accademia dei Nobel questo lo sento come uno dei momenti più belli della mia vita.
Capisco che in nord Europa, in Svezia come in Germania, l'attenzione a ciò che accade altrove è altissima. Mi accorgo che più di quanto non accada in Italia, le contraddizioni degli altri paesi si sentono proprie. In Svezia, l’anno scorso all’Accademia dei Nobel, c'era Salman Rushdie la cui generosità nei miei confronti nasce da chi non dimentica quel che ha passato. Qui in Germania sarà il rispetto per la parola pericolosa a farmi da mentore. Quella parola che ha portato alla morte i coraggiosi Hans e Sophie Scholl.
Mentre scrivo questo discorso so che probabilmente tutto ciò che ho preparato svanirà. So che probabilmente sentirò solo la testa vuota, il cuore in petto, solito grumo ingombrante, e la gola secca. Ma so anche che richiamerò alla memoria i nomi, a me cari, di coloro che le loro parole hanno reso scomodi. I nomi di chi stenta ad avere libertà di parola e di chi vive sotto minaccia per aver dato fastidio al potere criminale. So che mi affiderò al racconto di una letteratura in grado di trasportare chiunque nei luoghi degli orrori più inimmaginabili. Ad Auschwitz con Primo Levi, nei gulag con Varlam Šalamov e in Cecenia con Anna Politkovskaja che, per ultima, ha pagato con la vita la sua capacità di rendere alla Cecenia cittadinanza universale nel cuore e nella mente dei lettori di tutto il mondo.
Ed è proprio pensando a come loro hanno vissuto, a come sono morti e alle loro immense fragilità, che sento tanta più riconoscenza verso di voi che con questo premio mi proteggete più di quanto non faccia una scorta armata. Chi muore per le proprie parole, muore perché quelle parole hanno difficoltà ad arrivare alle orecchie, agli occhi e ai cuori di molti.
È questo che salva le parole pericolose e chi le scrive: l’attenzione delle persone, il lettore. Molti intellettuali, mentre rimpiangono la loro perdita di ruolo nelle società occidentali, continuano a considerare la popolarità e la sovraesposizione con diffidenza o con disprezzo, come se invalidasse automaticamente il valore di un’opera. Come non potesse essere altro che il risultato dei meccanismi manipolativi del mercato e dei media. Come se il pubblico a cui è dovuto fosse impossibile pensarlo diversamente da una massa acritica. E, secondo me, è soprattutto nei riguardi di quest’ultimo che commettono un torto enorme, perché se non è vero che tutte le parole e tutti i libri sono uguali, tantomeno lo sono i lettori. I lettori possono cercare di divertirsi o di capire, possono appassionarsi alla fantasia più illimitata o al racconto della realtà più dolorosa e difficile, possono persino essere la stessa persona in momenti differenti: ma sono capaci di scegliere e di distinguere. E se uno scrittore questo non lo vede, se non confida più che la bottiglia da gettare in mare approdi nelle mani di qualcuno disposto ad ascoltarlo, e ci rinuncia, rinuncia non a scrivere e pubblicare, ma a credere nella capacità delle sue parole di comunicare e di incidere. Allora fa un torto pure a se stesso e a tutti quelli che lo hanno preceduto.
Quello che più mi ha colpito nella storia dei fratelli Scholl è che loro, invece, nel potere della parola ci credevano con ogni parte di se. Loro ebbero fiducia nell’intellighenzia tedesca, credendo che si sarebbe opposta al Nazismo. Sophie, addirittura, non esitò a esporsi pubblicamente per diffondere dei volantini che veicolavano un messaggio di protesta non-violenta, e quando, dopo l’arresto, furono interrogati, non persero la speranza e ancora confidarono nelle loro parole e nel potere intrinseco che esse avevano, assumendosene la piena responsabilità.
Quei ragazzi morti per le loro idee di pace hanno riscattato l’intero popolo tedesco con i pochi mezzi che avevano a disposizione, ovvero parole scritte e declamate. Contro di loro la smisurata propaganda nazifascista che utilizzava metodi di coercizione ben più efficaci. In alcune parti d’Europa e del mondo, sembra strano a dirsi, ma quelle parole, quei volantini ancora condannerebbero a morte chi li scrive.
In quei contesti, che non sono distanti o tanto diversi da quelli in cui viviamo noi, paradossalmente scrivere nonostante il pericolo finisce con il coincidere con la vita stessa. Qualcuno pensa che minacciare, intimidire porti a nascondere le parole. Ma questo spesso non accade. Piuttosto si preferisce al silenzio il percorso più impervio della lotta quotidiana, di un corpo a corpo sommesso e costante, come un combattimento ombra, tra ciò che la propria coscienza impone e le legittime preoccupazioni di una vita sotto minaccia.
Per me, personalmente, scrivere, non fare a meno delle mie parole, ha significato non perdermi. Non darmi per vinto. Non disperare, quando tutto mi portava, invece, alla disperazione e alla solitudine.
Scrivere significa riuscire a iscrivere una parola nel mondo, passarla a qualcuno come un biglietto con un’informazione clandestina, uno di quelli che devi leggere, mandare a memoria e poi distruggere: appallottolandolo, mischiandolo con la tua saliva, facendolo macerare nel tuo stomaco. Scrivere è fare resistenza.
Allora, quando mi guardo indietro, l’unica cosa che vedo e l’unica in cui mi riconosco, sono le mie parole.
In questi anni, poi, ho compreso l’importanza del confronto mediatico. Quando dietro non ci siano il vuoto, il gossip, la trama di finzioni che non fanno altro che distrarre e consolare, ma ci sono la voglia e il desiderio di tanti di sapere e di cambiare, perché non possono essere usati tutti i mezzi possibili per unificare le forze? Perché averne tanto sospetto o paura?
La peggiore delle mie paure non è quella sovraesposizione che tanti snobisticamente demonizzano, ma piuttosto che riescano a diffamarmi, a distruggere la mia credibilità, a infangare ciò per cui mi sono speso e ho pagato. Lo hanno fatto con tutti coloro che hanno deciso di raccontare e denunciare, hanno provato a farlo con Anna Politkovskaja.
C’è una frase di Santa Teresa che spesso mi è girata nella testa in questi anni, vera e terribile: “Si versano più lacrime per le preghiere esaudite che per quelle non accolte”. Se ho avuto un sogno, è stato quello di incidere con le mie parole, di dimostrare che la parola letteraria può ancora avere un peso e il potere di cambiare la realtà. Pur con tutto quello che mi è successo, la mia “preghiera”, grazie ai miei lettori, e grazie a chi premia il mio lavoro, è stata esaudita.
Sono convinto che se i tanti, i troppi scrittori, giornalisti e attivisti morti per le proprie idee, per le proprie parole, per i propri scritti avessero avuto la possibilità di arrivare a molti ora la loro storia sarebbe diversa e probabilmente lo sarebbe anche la nostra. A difendere chi scrive chi filma chi parla possono essere solo gli occhi dei lettori, degli spettatori, degli ascoltatori. Loro sono le sentinelle delle parole che decidono di accogliere dentro di sé e portarle in giro. Questo non va dimenticato. Questo è ciò su cui rifletto, quando penso all’animo indomito e al cuore tenero, motto della Rosa Bianca.
Vale la parola detta.
© Roberto Saviano
Es gilt das gesprochene Wort.
…Weniger
Laudatio von Giovanni di Lorenzo
Einer, der mit der Feder auf Verbrecher zielt
Der Schriftsteller Roberto Saviano
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich will nicht lange drum herumreden: Es gibt zurzeit niemanden in Italien, dessen Geschichte mich so bewegt und empört wie die von Roberto Saviano. Man muss sich das einmal vorstellen:
Da ist ein junger Mann aus Süditalien, der nach seinem Philosophie-Studium an einem Buch über das organisierte Verbrechen in seiner Heimat schreibt. Er interviewt Camorra-Mitglieder, studiert Akten, verfolgt Gerichtsprozesse und recherchiert verdeckt als Hafenarbeiter.
Mehr…
Und er denkt sich: Wenn ich Glück habe, finde ich einen kleinen Verlag, und das Buch verkauft sich ein paar tausend Mal. Lieber Roberto, als ich Dich kennenlernte, warst Du schon ein gefeierter Bestseller-Autor und hast mir verraten, dass Du damals während eines Besuchs in Deutschland eine Freundin um meine Telefonnummer gebeten hattest. Du wolltest mich vom Bahnsteig aus anrufen und fragen, ob ich in Deutschland vielleicht einen kleinen Verlag kenne, der Dein Buch eventuell in sein Programm aufnehmen könnte.
Da ist also ein junger Journalist, der etwas aufschreibt, das seit Jahrzehnten zu fassen war und von anderen hätte ausgesprochen werden müssen. Es wäre deshalb falsch, diesen Mann einen Enthüllungsjournalisten zu nennen: Seit Jahren wissen wir ja – oder könnten wir zumindest wissen –, welches Unwesen die Mafia direkt vor ihrer Haustür treibt. Er selbst sagt: "Alles, was in meinem Buch vorkommt, weiß in Neapel jeder Polizeireporter. Jedes Detail." Doch nur er fand die Mittel, die Wahrheit so auszusprechen, dass ein Land erschüttert war.
Und plötzlich hat da jemand, der noch nicht einmal 30 Jahre alt ist, zwei Bürden zu tragen, von denen schon eine ausreichen würde, um einen Menschen zu erdrücken.
Roberto Saviano muss sich seit drei Jahren verstecken, und zwar auf viel dramatischere Weise als die Verbrecher, auf die er aufmerksam gemacht hat. Rund um die Uhr wird er von Carabinieri bewacht, er zieht von einer Polizeikaserne, von einer Wohnung zur nächsten, wie ein Nomade im Feindesland. Seine Mutter, sein Bruder und eine Tante mussten eine neue Identität annehmen. Fluglinien haben sich geweigert, ihn zu befördern, Hotels und Restaurants verschärfen ihre Sicherheitsvorkehrungen, wenn er zu Gast ist. Und selbst wenn es vielleicht nicht für jeden sofort sichtbar ist: Auch heute Abend, weit weg von Italien, werden wir ziemlich gut bewacht.
Roberto Saviano hat diese Art der Existenz ein "Höllenleben" genannt und gesagt: "Jeden Morgen frage ich mich, warum ich das gemacht habe, und finde keine Antwort, weiß nicht, ob es das wert war." Er neigt bestimmt nicht zu Selbstmitleid, obwohl er allen Grund dazu hätte. Manchmal wohnt er in einer Kaserne in Neapel, in der er sich ein Zimmer mit einem Carabiniere teilt. Mit etwas Galgenhumor könnte man sagen, dass dieser Polizist immerhin ein Original ist: Er ist nämlich der einzige Kommunist weit und breit und trägt ein schönes Tattoo von Che Guevara.
Manchmal wohnt Roberto Saviano in einer kleinen Wohnung, in der zuvor Mafiosi untergebracht waren, die vor Gericht als Kronzeugen aussagten. Das Haus, in dem diese Wohnung liegt, wird ansonsten von unbescholtenen Bürgern bewohnt. Es hat lange gedauert, bis die Nachbarn angefangen haben, Roberto Saviano zu grüßen. Sie mussten ihn erst im Fernsehen sehen, um zu verstehen, dass es sich bei ihrem neuen Nachbarn nicht um einen ehemaligen Killer handelt, der seiner gerechten Strafe zu entgehen versucht.
Ich glaube, dass wir gar nicht richtig begreifen können, was so ein Leben bedeutet, selbst wenn wir glauben, dass wir das könnten. Denken Sie nur einmal daran, dass ein junger Mann in Savianos Alter auf die völlig abwegige Idee kommen könnte, dass es doch ganz schön wäre, eine Partnerin zu haben. Und dass er dann vielleicht sogar das Glück haben sollte, sich in eine Frau zu verlieben. Doch es ist für diesen Mann nahezu unmöglich, mit einer Frau zusammenzuleben. "Ich möchte eine Familie gründen", hat Roberto Saviano einmal gesagt, "das ist der höchste Wert in meinem Leben, auch wenn manche Schriftstellerkollegen das für spießig halten. Aber finde mal jemanden, der bereit ist, mit dir ein Leben unter ständiger Todesdrohung zu teilen."
Roberto Saviano arbeitet weiter, auch wenn man kaum glauben kann, dass das unter diesen Umständen möglich ist. Sein jüngstes Buch, für das er heute Abend auch ausgezeichnet wird, heißt Das Gegenteil von Tod, ein Titel, der auch über seinem Höllenleben stehen könnte. Der Band enthält zwei Erzählungen aus dem Mezzogiorno, in denen es um die Frage geht, ob dort überhaupt noch ein Leben auf der Seite des Gesetzes, ein Leben jenseits der Camorra möglich ist. Saviano beschreibt, dass junge Männer in Kampanien keine große Wahl haben: Der Dienst bei der Polizei oder beim Militär ist oft ihre einzige Chance, der Kriminalität zu entgehen. Aber trotz all der Morde, trotz all der Verbrechen und all dem Müll: Im trauerschwarzen Neapel ist doch immer, wie mein Kollege Ulrich Ladurner, ein Südtiroler, vor Kurzem geschrieben hat, "die Kraft des Lebens zu spüren, die auch unter den widrigsten Bedingungen nicht erlahmt". Insofern ist Savianos jüngstes Buch auch ein Buch über ihn selbst.
Es ist diese Kraft des Lebens, die Saviano fasziniert, und diese Faszination macht ihn zu einem so vielseitigen Autor. Er schreibt nicht nur über die Mafia und das korrupte Italien, manchmal gelingt es ihm auch, seinem Gefängnis zu entkommen und sich einem ganz anderen Thema zu widmen. Vor ein paar Monaten zum Beispiel hat er Lionel Messi in der Umkleidekabine des Camp-Nou-Stadions in Barcelona interviewt – und ein bewegendes Porträt über den superschnellen Mittelfeldstar geschrieben.
Saviano ist in Neapel mit dem Mythos des Diego Armando Maradona aufgewachsen, und in Messi, den sie Messia rufen, sieht er dessen fußballerische Reinkarnation: einen kleinwüchsigen Jungen, "der entschlossen ist, sich mithilfe des Fußballs aus der Hölle herauszuarbeiten". Für den sein Talent alles ist, weil kein Plan B existiert, keine Alternative, auf die er zurückgreifen könnte. Messi, schreibt Saviano, dürfte mit seinem Körperchen, seinen kleinen Füßen und der schmalen Brust im muskelstrotzenden Profifußball eigentlich gar nicht spielen können. Aber Messi weiß das nicht – er spielt einfach. Deshalb ist er für Saviano der Größte von allen. Solche Stücke zeigen Savianos Qualität als Autor, und sie lassen erahnen, was er sonst noch alles leisten könnte, wenn er nicht ständig auf der Flucht sein müsste.
Als halber Italiener, der ich nun einmal bin, möchte ich hier sagen: Der halbe Italiener schämt sich dafür, dass es in Westeuropa ein Land gibt, in dem ein Schriftsteller im 21. Jahrhundert um sein Leben bangen muss, weil er mit seiner Feder auf Verbrecher zielt. Wie kann es sein, dass in einer Region Kerneuropas Kriminelle stärker sind als der Staat, der sie verfolgen müsste?
Roberto Saviano verpflichtet uns dazu, kritisch auf ein Land zu schauen, das wir fast alle kennen und das viele von uns, trotz der unerträglichen Zustände, die gerade wieder zu beklagen sind, nicht aufhören können zu lieben. Aber er hat mit seinen Büchern und Artikeln unser Italienbild verändert. Es ist auch sein Verdienst, dass heute jeder wissen kann, dass Italien eine, wie er sagt, "anormale Republik im Herzen Westeuropas" ist: Eine Republik, in der man, wenn man Pech hat, Schmiergelder bezahlen muss, um einen Termin in einem Krankenhaus zu bekommen. In der kriminelle Vereinigungen offenbar bis zum Doppelten des Bruttoinlandsprodukts des ganzen Staates erwirtschaften. Ein Land, auf dessen Weiden Giftmüll vergraben wird, der den Boden und das Grundwasser verseucht. Und an dessen Küsten Schiffe mit giftiger und radioaktiver Ladung im Meer versenkt werden.
Italien – mir tut es weh, das zu sagen – riskiert, moralisch ein failing state zu werden, und das hat sehr viel mit der Mafia, aber auch sehr viel mit den herrschenden Politikern und dem Mediensystem zu tun. Es ehrt und zeichnet Saviano aus, dass er jeder parteipolitischen Vereinnahmung bislang getrotzt hat. Es ist abstoßend und wohlfeil zugleich, an dieser Stelle über den Ministerpräsidenten Italiens zu sprechen. Aber es ist doch unvermeidlich, gerade heute Abend. Das liegt nicht zuletzt an einem offenen Brief, den Saviano an Berlusconi adressiert hat und der am Samstag in der Repubblica veröffentlicht worden ist.
Der Brief ist vornehm im Ton und bestürzend im Befund: Saviano fordert den Ministerpräsidenten darin auf, einen Gesetzentwurf zurückzunehmen, mit dem die Dauer von Gerichtsverfahren auf maximal sechs Jahre begrenzt werden soll. Das ist für italienische Verhältnisse offenbar eine kurze Zeitspanne. Doch sollte ein solches Gesetz in Kraft treten, könnten unzählige Prozesse ohne Urteil eingestellt werden – darunter auch mindestens ein gegen Berlusconi anhängiges Verfahren. Und als sei diese Justizreform zum eigenen Vorteil nicht schon absurd genug, sieht sie auch noch Ausnahmen vor: Prozesse gegen illegale Einwanderer sollen zum Beispiel nicht verjähren, sondern weitergeführt werden.
Auch auf solche Entwicklungen macht Saviano immer wieder aufmerksam. Und genau das ist eben die zweite schwere Bürde, die er zu schultern hat: Weil so wenige Menschen den Kampf gegen die Camorra und die sie begünstigenden Umstände aufgenommen haben und weil noch weniger international Gehör finden, ist er zum moralischen Gewissen Italiens geworden. Wie oft war der Satz zu lesen, Roberto Saviano sei derzeit die wichtigste Stimme Italiens! Aber ich frage: Was ist das für eine Last für einen eben 30-Jährigen!
Der große Erfolg seiner Bücher, die internationale Aufmerksamkeit, die vielen Auszeichnungen haben auch dazu geführt, dass Saviano sich immer wieder ehrenrühriger Vorwürfe erwehren muss: Er mache sich nur wichtig und sei ein gefallsüchtiger Aufschneider, der die Dinge überzeichnen müsse, heißt es in Italien immer wieder. Als der Chef der neapolitanischen Polizei-Eingreiftruppe "Squadra mobile“ vor einem Monat in einem Interview mit dem Corriere della Sera die Solidarität mit dem Autor aufkündigte, führte er ganz ähnliche Argumente an: Saviano brauche keinen Polizeischutz mehr; es gebe genug italienische Polizisten und Staatsanwälte, die in ihrem Kampf gegen die Camorra eine Eskorte nötiger hätten. Gomorrha habe ein exzessives Medienecho ausgelöst. Was wohl so viel heißen soll wie: Nun ist auch mal gut mit dem Wichtigtuer!
Zum Glück schätzte der Chef der nationalen Polizei die Sicherheitslage etwas realistischer ein; Saviano behielt den Polizeischutz. Doch schon der Versuch, ihm diesen Schutz zu entziehen, weckte in ihm einen schlimmen Verdacht – den Verdacht nämlich, dass nicht wenige Bürger und Politiker ihn der Mafia ausliefern wollten, nach dem Motto: "Ihr könnt ihn haben". Diesen Eindruck, dass die geschlossene Front gegen die Clans plötzlich Risse bekommt, hat Saviano kürzlich eindruckvoll in der ZEIT formuliert: "Ich weiß“, schreibt er, "dass ich mit dem, was ich sage, und damit, wie ich es sage, vielen Neapolitanern und Italienern ein Dorn im Auge bin. (...) Ich spüre, wie der stumme Hass um mich herum wächst und auf breites Einvernehmen stößt."
Es sind nicht nur die Jünger der Mafia, die Todesdrohungen an die Mauern in seinem Heimatort Casal di Principe schmieren. Nicht nur die Radikalen, die im Internet ihren Hass gegen den Autor zum Ausdruck bringen und sich nicht scheuen, ihren vollen Namen zu nennen. Es gibt da tatsächlich ein Forum mit der Überschrift: "Für die, die der Camorra helfen wollen, Saviano umzubringen". Nein, Saviano stößt eben auch bei vielen Italienern auf Ablehnung, die nicht solche elenden Kanaillen sind, die aber besser mit der Täuschung zu leben glauben, dass der Kampf gegen die Kriminalität bloß eine Handvoll Polizisten und ein paar Richter betreffe, die irgendwie alleine damit fertig werden müssten.
Roberto Saviano weiß, dass das so nicht funktionieren kann. Er will deshalb "die gesellschaftliche Wahrnehmung des Phänomens (...) ändern, statt es in irgendeinem Strafregister abzuspeichern oder es als Problem der öffentlichen Ordnung hinzustellen". Es geht ihm um gesellschaftlichen Widerstand, und der ist allemal unbequemer und gefährlicher als die Forderung, Polizei und Justiz müssten sich eben mal kümmern.
Und auch wenn er selbst sich immer wieder skeptisch zu der Frage äußert, ob die Mafia denn jemals besiegt werden könne: Roberto Saviano hat auch in Italien etwas bewirkt. Die Justiz hat in den vergangenen Jahren Erfolge gegen die Mafia errungen, die ohne die öffentliche Aufmerksamkeit wohl nicht möglich gewesen wären. Erst vergangenen Dienstag zum Beispiel hat die Staatsanwaltschaft in Neapel Haftbefehl gegen einen Unterstaatssekretär des italienischen Wirtschafts- und Finanzministeriums erlassen. Dieser Mann namens Nicola Cosentino sitzt für Berlusconis Popolo della Libertà im Parlament und ist Regionalchef der Partei in Kampanien. Die Justiz interessiert sich für ihn, weil er Kontakte zum Casalesi-Clan der Camorra unterhalten haben soll – es geht unter anderem um den Bau einer Müllverbrennungsanlage.
Müll klingt sehr nach Gomorrha, und tatsächlich war es Roberto Saviano, der schon vor einiger Zeit vor Cosentino gewarnt hatte. In einem Interview mit der Tageszeitung La Repubblica hat er gesagt: "Wer sich mit der Camorra beschäftigt, weiß, dass Cosentino immer eine wichtige Rolle innehatte." Und natürlich hat sich eben jener Cosentino längst auch über Roberto Saviano ausgelassen, und zwar in einer Weise, die ahnen lässt, wie einsam der Schriftsteller sich manchmal in seinem Kampf gegen die Camorra fühlen muss: "Saviano", sagt Cosentino, "ist nicht einzigartig (...), und er leistet all jenen Staatsdienern einen Bärendienst, die jeden Tag im Kampf gegen die Mafia im Einsatz sind, auch jenen respektablen Politikern, die mit der Camorra nichts zu tun haben." So äußern sich in Italien ehrenwerte Politiker wie Nicola Cosentino.
Obwohl man sich leicht vorstellen kann, wie sehr solche Vorwürfe und Beschimpfungen jemanden verletzen müssen, der wegen seines Engagements in einer Art Geiselhaft sitzt, kann man Roberto Saviano nur um eins bitten: Versuch weiter, die Stimme des moralischen Italiens zu sein – auch wenn Dich das noch so sehr belastet! Denn es gibt nicht mehr viele in Italien, auf die man hört, und ich fürchte, dass Du, lieber Roberto, in die riesigen Fußstapfen treten musst, die früher Männer wie Leonardo Sciascia, Alberto Moravia oder Pier Paolo Pasolini ausgefüllt haben.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass Roberto Saviano sich über die Auszeichnung, die er heute Abend bekommt, besonders freut. Der Geschwister-Scholl-Preis ist ein Preis für Zivilcourage – und wer könnte sagen, dass er ihn nicht verdient hat? Was Roberto Saviano nicht sagt, obwohl es die Wahrheit ist: Auszeichnungen wie der Geschwister-Scholl-Preis sind eine kleine Hilfe, die wir leisten können, eine Art cordon nicht nur der Anerkennung, sondern des Schutzes. Auch wenn Saviano gelegentlich zu Protokoll gibt, der Erfolg könne ihn mal: Die Öffentlichkeit ist jetzt sein größter Schutz. Ministerpräsident Berlusconi, Innenminister Maroni, die Chefs von Geheimdienst und Polizei in Italien sollen wissen:
Wir alle wollen ein Stück mithaften für Roberto Savianos Unversehrtheit. Und für die Hoffnung, dass er eines Tages wieder ein Leben führen kann, das diesen Namen auch verdient. Dann vielleicht sogar in einem normalen europäischen Land, in dem Schriftsteller sich nicht mehr verstecken müssen.
Ich danke Ihnen.
Giovanni di Lorenzo, München 16.11.2009
Es gilt das gesprochene Wort.
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