Der undankbare Flüchtling

Die Schriftstellerin und Publizistin Dina Nayeri – 1979 in Isfahan geboren – erzählt aus persönlicher Perspektive von dieser großen Geschichte. Im Kindesalter wurde sie selbst zur Geflüchteten, die Familie bekam schließlich Asyl in den USA. Die eigene Biographie verbindet Dina Nayeri mit anderen Fluchtgeschichten unserer Zeit. Sie berichtet – einfühlsam und eindringlich – von Menschen, die vor Verfolgung, Kriegen und Bürgerkriegen fliehen, in der Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Freiheit. In diesem Sinn gibt ihr Buch dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse und fördert moralischen wie auch intellektuellen Mut.

In der Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte wie auch mit den Biographien der Geflüchteten in unserer Gegenwart richtet Dina Nayeri unsere Augen immer wieder auch auf die schwierige Situation in den Ländern der Ankunft. Denn die Migrant*innen – so ihre Überzeugung – bleiben Migrant*innen. Sie sehen sich konfrontiert mit einer Vielzahl von Vorbehalten, in den Behörden, bei denen sie um Aufnahme bitten, ebenso aber auch in den Gesellschaften, in denen sie leben wollen. ‚Migranten‘, so schreibt Dina Nayeri, ‚verbringen den Rest ihres Lebens damit, darum zu kämpfen, dass man ihnen glaubt.‘ Diese neue und wichtige Perspektive macht ihr Buch – Dokument einer Welt in Aufruhr – so besonders. Aus diesem Blick kristallisiert sich zugleich eine Erfahrung, die für zahllose Fluchtschicksale stehen kann, in allen historischen Epochen.

Für die Aufnahme in eine Gesellschaft, so Dina Nayeri, werde Dankbarkeit erwartet – und der zukünftige Verzicht auf die eigene Identität und Kultur. Wir haben keine Schuld zu begleichen, sagt die Schriftstellerin im Gespräch. Der Handel, den sie hier beschreibt, ist nicht neu und erinnert an die schmerzhaften Aufnahmeprozesse von Jüdinnen und Juden in die europäischen Gesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. Deren rechtliche Gleichstellung nach Jahrhunderten der Diskriminierung wurde an die Aufgabe ihrer jüdischen Identität und der mit ihr verbundenen kollektiven Strukturen gebunden und – nicht zuletzt – an Dankbarkeit.

Dina Nayeri führt ihre Leserinnen und Leser zur Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, in einem anderen Land zu leben, in Sicherheit zwar, doch immer unter Vorbehalt und zur steten Dankbarkeit verpflichtet. Ihr Buch Der undankbare Flüchtling ist damit ein Plädoyer, die Würde eines jeden Menschen anzuerkennen. In den Flugblättern der Weißen Rose finden sich die wichtigen Forderungen, jeder Einzelne habe ein Recht auf einen ‚brauchbaren und gerechten Staat‘ sowie auf die ‚Güter der Welt‘. Dina Nayeris Buch ist in dieser zutiefst humanistischen Überzeugung geschrieben.“

The writer and publicist Dina Nayeri – born in Isfahan in 1979 – recounts this great story from a personal point of view. As a child, she became a refugee herself, and the family was eventually granted asylum in the United States of America. Dina Nayeri connects her own biography with other escape stories of our time. She reports – sensitively and vividly – of people who are fleeing persecution, wars and civil wars in the hope of a life in peace and freedom. In this sense, her book gives important impulses to the responsible awareness of the present and promotes moral as well as intellectual courage.

In dealing with her own family history as well as with the biographies of the refugees in our present time, Dina Nayeri also repeatedly directs our eyes to the difficult situation in the countries of arrival. Because migrants – thus her conviction –  remain migrants. They are confronted with a multitude of reservations, in the authorities they ask for admission, but also in the societies in which they want to live. ‘Refugees’, writes Dina Nayeri, ‘will spend the rest of their lives battling to be believed.’ This new and important perspective is what makes her book – document of a world in turmoil – so special. From this perspective, an experience simultaneously crystallizes that can stand for countless fates of escape in all historical epochs.

According to Dina Nayeri, gratitude is expected for acceptance into a society – and the future renunciation of one’s own identity and culture. We have no debt to repay, says the writer in conversation. The deal she describes here is not new and is reminiscent of the painful processes of accepting Jews into European societies in the 18th and 19th centuries. Their legal equality after centuries of  discrimination was tied to the abandonment of their Jewish identity and the collective structures associated with it and – not least – to gratitude.

Dina Nayeri leads her readers to grapple with the question of what it means to live in another country, though in safety and security, but always with reservations and obliged to constant gratitude. Her book The Ungrateful Refugee is thus a plea for recognition of the dignity of every human being. The leaflets of the White Rose contain the important demands that every individual has a right to a ‘useful and just state’ as well as to the ‘goods of the world.’ Dina Nayeri’s book is written in this deeply humanistic conviction.”

„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!“ Das steht im fünften Flugblatt der Weißen Rose und ist die eindringliche Aufforderung, sich gegen die Nazi-Barbarei zu stellen. Und tätiges Mitgefühl zu üben mit denen, die erniedrigt, ausgestoßen und entmenschlicht werden. Auch wir sind aufgefordert, nicht gleichgültig und unempfänglich zu werden gegenüber dem Leid der anderen, gegenüber dem Leid der sterbenden Flüchtlinge auf dem Mittelmeer und in den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln.

Zwar kann sich München durchaus einiges auf seinen vorbildlichen Umgang mit Migrantinnen und Migranten seit dem Herbst 2015 zugutehalten, von der Aufnahme und der Beratung über die Sprach- und Integrationskurse bis zur medizinischen Versorgung und den vergleichsweise guten Chancen auf ein Job. Aber das ändert freilich nichts daran, dass Europas ebenso unzulängliche wie unsolidarische Migrationspolitik insgesamt der gebotenen Menschlichkeit widerspricht.

Dass diese Menschlichkeit eigentlich stets an erster Stelle stehen und uns über alle kulturellen Unterschiede hinweg selbstverständlich sein sollte, daran erinnert uns die Schriftstellerin und Publizistin Dina Nayeri mit ihrem Buch „Der undankbare Flüchtling“ sehr eindringlich. Ganz so wie es auch im „Globalen Pakt für Migration“ von 2018 betont wird, dass der Mensch nämlich auch auf der Flucht und als Vertriebener Mensch bleibt und Anspruch darauf hat, in seiner Menschenwürde geachtet zu werden.

Man sollte es sich immer wieder vor Augen führen: Niemand flieht freiwillig. Immer mehr Menschen werden weltweit vertrieben und fliehen vor Gewalt, staatlicher Verfolgung, Kriegen oder Diskriminierung. Hinzu kommen Armut, Hunger, Naturkatastrophen und zunehmend auch die Auswirkungen des Klimawandels. Ende 2019 waren nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR weltweit rund 80 Millionen Menschen auf der Flucht.

Auch bei uns hat der Zuzug von Geflüchteten jahrelang die politische Debatte bestimmt. Inzwischen sinken die Zahlen wieder. Und vielleicht steigt damit ja auch die Bereitschaft, uns klarer zu werden über unsere berechtigten Erwartungen an Migrantinnen und Migranten, aber auch über stereotype Vorbehalte, überzogene Vorstellungen und egoistische Forderungen. Etwa die nach Dankbarkeit. Die nämlich ist uns keiner der Geflüchteten schuldig –  das ist der Kern von Dina Nayeris Buch. Es ist kein Verdienst, in die reiche Welt hineingeboren zu werden, in Wohlstand und Sicherheit. Es ist vielmehr ein Geschenk, eines, das uns Verpflichtung sein sollte, auch an die anderen zu denken und die Arme zu öffnen für diejenigen, die diesen Vorteil im Leben nicht haben.

Denn haben es die nicht schon schwer genug, die gezwungenermaßen von zuhause fortgehen und in ein fremdes Land kommen als Fremde? Der große Münchner Philosoph, und das ist hierbei nicht zu hoch gegriffen, Karl Valentin hat vor genau 80 Jahren seinen berühmten Dialog von den Fremden eingespielt. Und darin heißt es bekanntlich: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“. Womit Karl Valentin die ebenso einfache wie komplexe Tatsache vor Augen führt, dass jeder gleichzeitig irgendwo fremd ist und irgendwo zuhause. Es kommt nur auf den Standpunkt und die Perspektive an.

Vielleicht sollten wir unseren Blickwinkel gelegentlich ändern, um zu erkennen, wie nah sich Fremdsein und Vertrautsein eigentlich sind und wie flüchtig diese Zustände an sich. Um Fremdheit nicht als Bedrohung zu empfinden, sondern vielmehr als Bereicherung und deshalb nicht mit Abwehr, Angst und Vorurteil zu reagieren, sondern mit Offenheit, Neugier und Mitgefühl. Nur so lässt sich die vielgepriesene Begegnung auf Augenhöhe überhaupt erreichen. Und damit auch die Einsicht, dass es bei diesem Dialog am allerwenigsten um Dankbarkeit geht.

In diesem Sinne gratuliere ich Dina Nayeri im Namen der Landeshauptstadt München und auch persönlich ganz herzlich zum Geschwister-Scholl-Preis 2020!

„Tear off the coat of indifference that covers your heart!“ That is written in the fifth flyer of the White Rose and is the urgent request to oppose the barbarism of Nationalist Germans. And to actively demonstrate sympathy with those who are degraded, expelled and dehumanised. We, too, are requested to react not indifferently and insensitively or inhumanely to the sufferings of others, to the sufferings of refugees who leave their lives on the Mediterranean and in overfilled camps on the Greek islands.

Since Autumn 2015 Munich can look back on considerable achievements in connection with its exemplary approach in handling migrants and in advising on language and integration courses, as well as in offering medical care and providing comparatively good chances on the labour market. That, however, does not alter the fact that Europe‘s migration politics not only lack solidarity but also contradict the humanity required.

Book writer and publicist Dina Nayeri in her book „The Ungrateful Refugee“ emphasises and reminds us that humanity should always come first and should be a matter of fact irrespective of the cultural differences. The „Global Pact for Migration“ of 2018 underlines in a similar way that the human being on the run and as a refugee nevertheless remains a human being and deserves being respected with dignity.

It should always be clear to us: Nobody flees voluntarily. A continuously rising number of people are expelled worldwide, and flee for fear of violence, national prosecution, war or discrimination. And additionally, for fear of poverty, hunger, natural catastrophes and increasingly also as a result of the effects of climate change. At the end of 2019, according to the statistics of the UN Refugee Organisation (UNHCR), worldwide about 80 million people were on the run.

In our country the influx of refugees has determined the political discussion for many years. Meanwhile the numbers are now declining. Perhaps the willingness to paint a clearer picture of our justified expectations of migrants, also of the stereotype ideas and egoistic demands will rise accordingly. For example, for gratitude. None of the refugees should be expected to demonstrate gratitude – that is the central theme of Dina Nayeri‘s book. It is no privilege of being born into a rich world, in prosperity and safety. It is moreover a gift that should be a duty to also think of others and to open the arms for others who are not blessed with this advantage in their life.

After isn’t it difficult enough for them if they are forced to leave their  home countries and come to a foreign country as a foreigner? The great Munich philosopher, Karl Valentin, and that is not exaggerating, stated presented the following 80 years ago in his famous dialog of foreigners:  „A foreigner is only a foreigner in a foreign land“. Karl Valentin showed us using this simple and also complex fact that every person is a stranger somewhere, and at the same time is somewhere at home. It depends simply on the standpoint and the perspective.

Perhaps we should change our perspective occasionally in order to realise how close being a stranger and being familiar are and how volatile these circumstances can in fact be. That would help us not to understand foreignness as a threat, but more as an enrichment and thus not to react with defence, fear and prejudice, but with open-mindedness, curiosity and empathy. After all that is the only way to reach the much-praised encounter of foreign cultures on the same eye level. And thus to understand that the least of all in this dialog is a matter of gratitude.

I would therefore like to take the opportunity to congratulate Dina Nayeri on behalf of the Landeshauptstadt München and also personally to the Geschwister-Scholl Prize 2020!

Wie wichtig für Sie, verehrte Frau Nayeri, ein Pass ist, haben sie bereits in ihrem Roman „Drei sind ein Dorf“ geschrieben. Das Leben ihrer Protagonistin Nilou ist das, was nach dem Lehrbuch vieler Politikerinnen und Politiker wohl eine geglückte Integration wäre: Sprache, Job, Beziehungen, Karriere, Heirat.

Und doch flüchtet sie sich immer wieder in ihre „kleine Parzelle“, wie Nilou scherzhaft ihren Rückzugsort nennt, der zu der glatten Erfolgsgeschichte nicht so recht passt:

„Sie geht ins Schlafzimmer, in die Ecke des begehbaren Kleiderschranks, und setzt sich in ihre Parzelle. Sie sichtet die Mappe mit ihrem Pass und ihren Einwanderungspapieren (…). Sie zählt nach: neun Dokumente, die ihr das Recht auf ihr Leben geben.“

Das Recht auf Leben organisierten die nationalsozialistischen Machthaber unter anderem mit der Neuordnung des „Gesetzes über das Paß-, das Ausländerpolizei- und das Meldewesen“. Mit der menschenverachtenden Verordnung vom 22. Juli 1938 wurde die Kennkarte als „allgemeiner polizeilicher Inlandausweis“ eingeführt und mit der „Verordnung über Reisepässe von Juden“ vom 5. Oktober 1938 sämtliche Reisepässe von Juden für ungültig erklärt. Die Pässe mussten innerhalb von zwei Wochen bei einer Behörde eingereicht und mit einem roten „J“ gestempelt werden, um den Inhaber als Juden kenntlich zu machen und somit wieder Gültigkeit zu bekommen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Millionen Menschen sich auf den Weg machten eine neue Heimat zu finden, waren es die Flüchtlinge, die oftmals auf Neid, Ablehnung und Hass stießen. Die gängigen Bezeichnungen waren „Flüchtlingsschweine“ oder schlicht „Gesindel“: „Wir verhungern und leiden große Pein, / Herrgott schick das Gesindel heim“, lautet eine Strophe aus einem „Gebet“, dass in Schwaben populär war. Ja, und auch Ihnen riefen Teile der Politik und Gesellschaft zu, dass sich diese „Neubürger“ gefälligst den herrschenden Sitten anzupassen hätten: „Undankbares Pack“, so die schlichte Formulierung eines süddeutschen Politikers.

In „Der undankbare Flüchtling“, das wir heute mit dem Geschwister Scholl Preis 2020 auszeichnen, treffen wir wieder auf Millionen von Flüchtlingen, die die Erfahrung machen, dass, egal wo sie herkommen, wer sie waren oder was sie können, sie immer wieder mit dem Satz konfrontiert werden: Schätze dich glücklich, dass wir dich aufnehmen.

Sie, verehrte Frau Nayeri, haben, wie viele andere Flüchtlinge auch, erfahren müssen, wie sehr Dankbarkeit von Ihnen erwartet wurde. „Aber“, so schreiben Sie in Ihrem ausgezeichneten Buch, „echte Dankbarkeit äußert sich nicht lautstark oder in oberflächlichen Gesten. Und man lernt schneller, etwas vorzutäuschen, als sich anzupassen – um die besorgten Einheimischen zu beruhigen“.

Dankbarkeit ist laut Definition ein Zustand, in dem man zu schätzen weiß, dass einem jemand oder etwas ein positives Gefühl durch eine immaterielle oder materielle Zuwendung geschenkt hat. Das heißt zum einen: Echte Dankbarkeit kann immer nur im Nachhinein geäußert werden. Und: Echte Dankbarkeit kann man nicht erwarten. Denn es wird ganz schwierig, sich dankbar zu zeigen, wenn man den Eindruck hat, dass man mit der impliziten Erwartung beschenkt wurde, Dankbarkeit hervorzurufen. Franz Kafka hat diese Erwartung so formuliert: „Die Eltern, die Dankbarkeit von ihren Kindern erwarten (es gibt sogar solche, die sie fordern), sind wie Wucherer, sie riskieren gern das Kapital, wenn sie nur genug Zinsen bekommen.“

Besondere Dankbarkeit wird erwartet, wenn am Ende ein „guter Pass“ winkt. Den allerdings gibt es nur im Tausch gegen einen „schlechten“. Ohne Pass oder Papiere kein Aufenthalt. Es mutet grotesk an, dass ein iranischer Flüchtling, der seinen Pass weggeschmissen oder verloren hat, just bei der Botschaft des Irans – eben jenes Landes, aus dem er aus Angst vor Verfolgung geflohen ist – einen neuen Pass beantragen muss, so verlangen es die Behörden – und zwar persönlich! Ohne Pass, kein Einlass, „…dann geh zur Hölle. Und stirb auf der Straße“, wie der Beamte der Behörden in Holland sagt, den Sie in Ihrem Buch zitieren.

Echte Dankbarkeit entsteht dann, wenn der Flüchtling das Gefühl hat, ernst genommen zu werden und angenommen zu sein als Mensch, nicht als Funktion oder Investition. Aber wie, so fragen Sie, verehrte Frau Nayeri, zu recht, kann das geschehen, wenn Politik von den geflüchteten Menschen vor allem eins verlangt: dass sie sich passiv verhalten, dass sie warten?

Das Asylverfahren, ein Großteil der Integrationsmaßnahmen und Gesetzgebungen behandeln Zuwanderer als Objekte, die darauf warten müssen, dass etwas mit ihnen passiert. Sie warten darauf, dass sie verteilt werden, sie warten, dass ihr Antrag entschieden wird, und dann warten sie, dass ihnen eine Arbeitsgelegenheit zugeteilt wird. Während dieser ganzen Zeit, die sich Monate, bisweilen sogar Jahre, hinziehen kann, sind sie zur Untätigkeit verdammt, sitzen in einem Wartesaal mit all den anderen, während wir Außenstehenden von ihnen erwarten, dass sie dankbar sein sollen, so als sei Asyl kein Menschenrecht, sondern ein Tauschgeschäft.

Doch dieser unnatürliche Zustand des Wartens zermürbt und „kann einen Menschen umbringen“. Kambiz, einer der Flüchtlinge, die in Ihrem Buch zu Wort kommen, sagt: „Die Vergangenheit bedrückt einen, die Zukunft bedrückt einen (…) Ich steh auf einem schmalen Grat zwischen der Vergangenheit und der Zukunft und warte darauf, dass ich verrückt werde.“

In „Der undankbare Flüchtling“ heißt es weiter: „Wenige Tage später, am 6. April 2011, verließ Kambiz wutentbrannt Hadis Haus. ... Er nahm den Zug nach Amsterdam und ging in einen Laden, um einen Kanister Feuerzeugbenzin zu kaufen. Dann stand er mitten auf dem Dam-Platz, im Herzen der quirligen Stadt, umgeben von Cafés, Touristen und Passanten. Eine Taubenfamilie pickte auf dem Boden herum, und er dachte, selbst die Tauben finden in dieser Stadt einen Platz, wo sie eine Familie gründen können. Er hob den Kanister über seinen Kopf und goss das Benzin über seine Haare und Kleider. ... Er sagte ein Gebet, vergewisserte sich, dass niemand in seiner Nähe stand, verabschiedete sich von seiner Mutter und seinen Schwestern und riss ein Streichholz an.“

Das schreckliche Ende von Kambiz ist nur eine Geschichte, ein Leben, das auf der Flucht verloren ging. Was wurde aus der Mutter, die Ihnen in einem griechischen Lager ihren achtjährigen Sohn anbot, damit wenigstens einer aus der Familie eine Chance auf ein Weiterleben hat? Wo ist der Flüchtling geblieben, der aus Angst den wahren Grund seiner Flucht verheimlichte, weil er schon in seinem Heimatland die brutalen Bestrafungen für seine Homosexualität zu spüren bekam? Wo ist die junge Frau, deren Asylverfahren abgelehnt wurde, weil sie auf die Frage nach dem Grund ihrer Flucht schwieg? Dies aber nicht, weil sie, wie die Behörden meinten „verstockt“ sei, sondern weil sie auf ihrer Flucht mehrmals vergewaltigt wurde und sich so sehr schämte, dass sie darüber nicht sprechen konnte.

Sie, verehrte Frau Nayeri, haben heute einen „guten Pass“ und es, wie man so einfach sagt, „geschafft“. Was Ihr Buch und Sie als Autorin preiswürdig macht ist, dass Sie wieder dorthin zurückgingen, wo Ihre Flucht begann, in die Lager Europas. Sie weisen uns auf die Abgründe nationaler Behördenwillkür hin und versuchen mit Ihren Möglichkeiten, den Wartenden zu helfen, dass sie gesehen werden und zu ihrem Recht kommen.

„Wir halten“, so schreiben Sie, „unsere Geburt unsere geerbten Pässe, für unser Recht. Wir denken: Ich bin in den USA, in Europa oder wo auch immer geboren, und deshalb ist das mein rechtmäßiger Platz.“ Die anderen kämen aus einem anderen, einem fremden Land, also sei das ihr rechtmäßiger Platz. „Wenn ich ihnen nun einen Platz neben mir anbiete, dann habe ich ihnen einen großen Dienst erwiesen und sollte zumindest etwas Dankbarkeit dafür kriegen.“

Genau diese Idee hinterfragen Sie in Ihrem Buch. Denn niemand „verdiene“ sein Geburtsland. Insofern sind wir Ihnen dankbar, dass Sie als undankbarer Flüchtling stellvertretend für viele andere Ihre Stimme erhoben haben, damit wir endlich anfangen, den Flüchtlingen auf Augenhöhe zu begegnen. Wie schreiben Sie so ehrlich in ihrem Buch:

„Betrachten Sie diese Lebensgeschichten als Unterhaltung, als Bildung oder als Bedrohung Ihrer eigenen Person. Es liegt bei Ihnen, wie Sie diese Stimmen verstehen wollen“.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Landesverband Bayern versteht Ihre und die Lebensgeschichten der vielen Flüchtlinge in Ihrem Buch als Weckruf und ein leidenschaftliches Plädoyer für die Rechte der Flüchtlinge, und einen Aufruf zur Solidarität und für ein Umdenken in der Migrationspolitik.

Dear Mrs. Nayeri, you described how important a passport is to you in your novel „Refuge“ („Drei sind ein Dorf“). The life of your protagonist Niloo is what according to the textbook of many politicians would most probably be described as a successful integration: Language, job, relationships, career, marriage.

And nevertheless, she repeatedly escapes to her „small hideaway“ as Niloo humorously refers to her secret haven, which does not seem  to fit into the otherwise smooth success story:

„She goes into the bedroom, to the corner of the walk-in closet and takes a seat in her hideaway. She looks through the folder containing her passport and her immigration documents (…). She counts them once again: nine documents guaranteeing her right to life.“

The National-Socialist rulers organised the right to life among others by reorganising the „Law on Passports, Alien’s Police and Registration“. With the inhumane decree of 22 July 1938 the identity card (so-called “Kennkarte”) was introduced as a “general national police ID card” and with the „Regulation on Jews’ Passports“ of 5 October 1938 all passports held by Jews were declared invalid. Jews were required to surrender their old passports within two weeks to the authorities, which would only become valid only after the letter “J” in red had been stamped on them to identify the owner as a Jew.

After the end of World War II when millions of people set out to find a new home, it was often the refugees who encountered envy, rejection and hatred. Frequently used words were „Flüchtlingsschweine“ (waste of the world) or even „Gesindel“ (rabble): „We are starving and suffering deeply, / Lord, send the rabble home”, was a verse from a popular Swabian “prayer”. And yes, parts of politics and society called out to them to ensure that these “new citizens” would “kindly” adapt to the prevailing rules and regulations: „Ungrateful pack“, was the mere wording of a South German politician.

In „Der undankbare Flüchtling“ (The Ungrateful Refugee), which we are awarding the Geschwister Scholl Prize 2020 to today, we encounter millions of refugees who make the experience that no matter where they come from, who they were or what they are able to do, they are continuously confronted with the sentence: Counter yourself lucky that our country is receiving you.

Dear Mrs. Nayeri, you like many other refugees had to make the experience how much gratitude was expected from you. “But“ as you write in your award-winning book „genuine gratitude is not expressed in a loud voice or in superfluous gestures. And you learned quicker to simulate rather than to adapt – to reassure the concerned locals“.

According to the definition, gratitude is a circumstance in which you learn to appreciate that somebody or something has given you a positive feeling by an immaterial or material benefit. On the one hand that means: Genuine gratitude can only be expressed in retrospect. And what is  more: Genuine gratitude cannot be expected. After all it is quite difficult to demonstrate your gratitude, if you have the impression that you were given something which was associated with an implicated expectation of generating gratitude. Franz Kafka worded this expectation in the following way: „Those parents who expect gratitude from their children (and there are even such who demand gratitude) are like profiteers, they willingly risk capital, if only they get enough interest.”

Special gratitude is expected if in the end a “good passport” is in store. That can, however, only be obtained in exchange for a “bad” one.  No residence title without passport or documents. It appears to be grotesque that an Iranian refugee who has thrown away or lost his passport is required to apply for a new passport at the Iranian Embassy – the embassy of exactly that country which he fled from for fear of persecution. And what is more the authorities demand that he appears personally! Without passport no permission to enter,  „…then go to hell. And die in the street“, as the officer at the authorities in Holland stated and whom you cite in your book.

Genuine gratitude only develops if the refugee has the feeling that he is taken seriously and is accepted as a human being, not as a function or investment. But how, Mrs. Nayeri, can that rightly be the case if politics require above all one thing from the refugees, namely that they act passively, and that they remain in a waiting position?

The asylum proceedings, a major part of the integration measures and laws treat refugees as objects waiting for something to happen to them. They wait to be distributed, they wait for a decision in their asylum proceedings, and they wait for the opportunity to find a job. During this whole period which may extend over months, sometimes even years, they are condemned to inactivity, sitting in a waiting room with all of the others while we, the onlookers, expect them to express gratitude, as if asylum were not a human right, but a barter deal.

However, this unnatural situation of waiting has a demoralising effect and „can kill a person”. Kambiz, one of the refugees who is given a voice in your book says: „The past is depressing, the future is depressing (…) I am standing on a narrow ridge between the past and the future and waiting to go mad.“

In „The Ungrateful Refugee“ it goes on as follows: „A few days later, on 6 April 2011, Kambiz left Hadi’s house in rage. … He took the train to Amsterdam and went into a shop to purchase a canister of lighter fluid. He then proceeded to the centre of Dam Square, at the heart of the bustling city, surrounded by cafés, tourists and pedestrians. A family of doves was pecking around on the ground and he thought to himself that even doves find a place in this city where they can start a family. He lifted the canister above his head, poured the lighter fuel over his hair and clothes. ... He then said a prayer, ensured that nobody was near him, said goodbye to his mother and sisters and lit a match.“

The terrible fate of Kambiz is only one story, one life which was lost on the run. What happened to the mother who offered her eight-year old son to you in a Greek camp so that at least one member of the family would have a chance to survive? Where is the refugee now who disclosed the real reason for fleeing, because he had to face the brutal punishment for homosexuality in his own home country? Where is the young woman whose asylum application was rejected because she remained silent when asked for the reason for fleeing? She was unable to answer the question because she was „obdurate“ as the authorities believed, but because she had been raped several times during her flight and she was so ashamed that she was unable to talk about her trauma.

Dear Mrs. Nayeri, you now have a „good passport“ and have „made it” as one would say. What makes your book and you as an author commendable, is the fact that you returned to where your flight began, namely to Europe’s camps. You draw our attention to the abysms of national arbitrariness of public authorities and try to help the waiting to be seen and to obtain access to justice by all possible means.

„We deem“, as you write, „our place of birth and our inherited passports to be our given right. What we believe is: I was born in the USA, in  Europe or no matter where in the world, and that is my rightful place.“ The others came from another, a foreign country, and therefore that was their rightful place. „And if I now offer you a place next to me, that means that I have done you a great favour and should at least deserve your gratitude for what I have done.“

And it is exactly this idea that you critically question in your book. After all nobody „deserves“ his country of birth. In so far we are grateful that you, as an ungrateful refugee speak out representing many others by giving them your voice, so that we finally start to meet the refugees on equal footing. And as you put it in such an honest way in your book:

„View these stories of life as entertainment, as education or as threat to your own person. It is up to you how you decide to understand these tales“.

The Börsenverein des Deutschen Buchhandels, with its National Bavarian Association understands yours and the biographies of the many refugees in your book as a wake-up call and a passionate appeal for the rights of refugees as well as a pledge to solidarity and a call for a mind shift in migration politics.

Während der vergangenen Jahre hat sich der Ton gegenüber Asylsuchenden und Hilfsbedürftigen verschärft; nun da in Folge der Pandemie Verunsicherung und Armut auch in den reichsten Ländern der Welt spür- und sichtbar werden, ist dieser Ton regelrecht offensiv geworden: Wir sollen zu unserer Unmenschlichkeit stehen, fordern die einen; nur ja keine Geflüchteten aufzunehmen und damit Öl in die Flammen der ‚Neuen Rechten‘ zu gießen, meinen die anderen. Und so ist das Schicksal der Flüchtlinge – an unseren Grenzen und in unserer Mitte – kein Thema mehr, das Schlagzeilen macht. Zu beschäftigt sind wir damit, unsere eigenen Wunden zu lecken.

In der neuen Realität des Virus ist „Der undankbare Flüchtling“ umso bedeutsamer – gerade in diesen Tagen, wenn die Erinnerung an Sophie Scholl in selbstverherrlichenden Auftritten von Gegnern des Infektionsschutzes missbraucht wird. Der Geschwister-Scholl-Preis zeichnet ein Buch aus, „das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem gegenwärtigen Verantwortungsbewussten wichtige Impulse zu geben.“

Die Schriftstellerin und Publizistin Dina Nayeri – 1979 in Isfahan geboren – erzählt in ihrem Buch sehr persönlich von einem Leben auf der Flucht, ihrem eigenen und dem der Menschen, denen sie in europäischen Städten und unweit mediterraner Urlaubspromenaden begegnete. Als Kind war sie selbst eine Geflüchtete, die nach vielen Stationen gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in den USA Asyl erhielt.

Auf die Frage, warum sie nach zwei Romanen mit „Der undankbare Flüchtling“ ein Sachbuch veröffentlicht habe, antwortet Dina Nayeri, sie wolle „die Argumente über Flucht und Exil, die aus meiner Erfahrung stammen, ohne Schleier der Fiktion präsentieren“ (Der Standard, September 2020). So berichtet sie in ihrem Buch – einfühlsam und eindringlich – von Menschen, die vor Verfolgung, Kriegen und Bürgerkriegen fliehen, in der Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Freiheit. Und sie erzählt von einer Haltung gegenüber Hilfesuchenden, die sich ernstlich verhärtet hat, seit sie selbst sich vor mehr als 30 Jahren auf die Flucht gemacht hatte. So erklärte unlängst der Berater des amerikanischen Präsidenten, Stephen Miller, in einem Interview: Das berühmte Gedicht von Emma Lazarus, The New Colossus, habe nichts mit der Freiheitsstatue zu tun und sei nicht mehr als ein unwesentliches, im Nachhinein hinzugefügtes Detail. Diese Behauptung entspricht, wenig verwunderlich, nicht der Wahrheit. In den vergangenen vier Jahren hat sich die Einwanderungspolitik der USA drastisch geändert, und es ist nicht überraschend, dass Lady Liberty deshalb ihrer historischen Bestimmung als „Mother of Exiles“, als Mutter des Exils, entfremdet werden soll. Denn so nannte Emma Lazarus den Steinkoloss, als sie seine Entstehung mit ihrem Gedicht begleitete. Lazarus wusste, wovon sie sprach: Unermüdlich setzte sich die junge, aus großbürgerlich-sephardischem Haus stammende Aktivistin für die Belange russischer Jüdinnen und Juden ein, die seit den 1880er Jahren zu tausenden den Hafen von New York passierten – allesamt Flüchtlinge der Pogrome des Zaren.

„Die Flucht ist der erste Schritt im Leben eines Migranten“ (22), schreibt Dina Nayeri. Mit diesem Schritt wird ein neues Wesen geboren, das seine Sicherheit verloren hat und seine Vergangenheit eintauscht gegen die Hoffnung auf ein Leben ohne Angst.

Francesca Sanna, Illustratorin und Verfasserin des poetischen Kinderbuchs „Die Flucht“ beschreibt diesen Moment der Entscheidung im Gespräch einer Mutter mit ihren Kindern: „‘Was ist das für ein Land?‘, fragen wir Mama. ‚Dort ist man in Sicherheit.‘, sagt sie. ‚Und wo ist dieses Land?‘, fragen wir nach.“ Die Mutter reckt sich in die Höhe, um an die obersten Regale eines riesigen Bücherregals zu reichen, auf ihrer Suche nach Informationen über das Land der Sicherheit. „Wir wollen nicht weggehen, aber Mama sagt, das werde ein großes Abenteuer.“ Die Koffer sind gepackt, die Bücher – und damit die Geschichte, Kultur und Vergangenheit – bleiben zurück.

Mit diesem Schritt in die Flucht wird ein Mensch zum Migranten und verliert seine Zugehörigkeit als Einheimischer – eine Verwandlung, die Dina Nayeri aufmerksam nachzeichnet, ausgehend von den Erinnerungen an ihre „eigene verworrene Vergangenheit“. So schreibt sie: „Damals war mir das noch nicht bewusst, denn nach einer Flucht ist man euphorisch. Es ist wie ein Sprung in den Nebel, eine Auslöschung des alten Lebens, ein Mord an einem früheren Ich. Die Flucht erschafft ein Chamäleon, eine wachsame Kreatur, immer in Verkleidung.“ (22-23)

Wie weit diese Verlusterfahrung reicht und welche Konsequenzen sie hat, beschrieb Hannah Arendt 1943 in ihrem Essay „Wir Flüchtlinge“ für die, wie sie selbst, aus Europa Geflohenen: „Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. […] Unsere Identität wechselt so häufig, dass keiner herausfinden kann, wer wir eigentlich sind. […] und das bedeutet den Zusammenbruch unserer privaten Welt.“ (Arendt, Wir Flüchtlinge, 2016, 10f, und 25, hg. von Thomas Meyer)

Arendt schreibt weiter, den jüdischen Flüchtlingen der 1930er und -40er Jahre sei bewusst gewesen, „dass unmittelbar nach der Ächtung des jüdischen Volkes die meisten europäischen Nationen für vogelfrei erklärt wurden. Die von einem Land ins andre vertrieben Flüchtlinge repräsentieren die Avantgarde ihrer Völker.“ Wie Thomas Meyer zurecht folgert, ist für Hannah Arendt mit diesem Gedanken die Flüchtlingsfrage zu einer universellen Frage geworden. Flucht kann jeden treffen – ebenso wie der damit einhergehende Verlust der Heimat und Sprache, die soziale Deklassierung, die Lächerlichkeit. Flüchtlingen ist das Recht abhandengekommen, „Rechte zu haben – und dies ist gleichbedeutend damit, in einem Beziehungssystem zu leben, in dem man aufgrund von Handlungen und Meinungen beurteilt wird“, und sie sind nicht mehr imstande, es wiederzugewinnen. (Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 2001, 614)

Auf ihren Reisen durch Flüchtlingslager und -unterkünfte wird Dina Nayeri eine Geschichte erzählt, „dass man Migranten Beton in die Schuhe gieße und ihnen sage ‚Jetzt habt ihr Wurzeln.‘ Doch Wurzeln zu haben ist nicht dasselbe wie am Weggehen gehindert zu werden. […] Du sollst dich nicht mit den Einheimischen anfreunden, damit du nicht zu gut zurechtkommst in diesem Land. Du mit deinen Betonschuhen sollst keine Wurzeln schlagen. Wenn du anerkannt wirst, heißt das nicht, dass du über Nacht ein freier Mensch wirst. Du bist noch immer ein Fremder...“ (196-197)

Was folgt, sind: Assimilation, Anpassung, Vergessen. In sehr persönlichen Beschreibungen erzählt die geflüchtete Dina Nayeri, was sie selbst sich und ihrem Körper abverlangt hat, damit sie als Chamäleon so erfolgreich wurde, wieder frei zu entscheiden. Wie andere Flüchtlinge tauschte sie die Vielfalt ihrer Kultur ein gegen die Dankbarkeit der Assimilation – Oklahoma statt Isfahan, Fastfood statt Berberitzen und Granatäpfeln, eine operierte Nase, der Verlust der Muttersprache. Die Assimilation aber bleibt immer einseitig: „Ich mag das Wort nicht, denn es heißt, dass man seine Eigenart dabei aufgibt.“, sagt Dina Nayeri im Interview. „Warum muss Assimilation immer nur von einer Seite ausgehen? Beiden Seiten müssen daran teilhaben. Mir gefällt der Ausdruck beiderseitige Assimilation, bei der sich die Menschen gegenseitig in liebevoller Weise beeinflussen.“ (Der Standard, September 2020) Nur auf diese Weise könnten Gesellschaften komplexer werden. Mit der Forderung nach einseitiger Assimilation beraube sich eine Gesellschaft der Chance, bereichert zu werden – dass nämlich die Vielfalt der neuen und alten Kulturen abwechselnd von allen getragen würde. In einer Situation wechselseitiger Assimilation stellt sich die Frage der Dankbarkeit für keinen – oder aber für beide, und letzteres kann durchaus mit eigennützigen Interessen begründet sein: Franz Kafka empfahl seiner Verlobten Felice Bauer im Sommer 1916, sich im Berliner Jüdischen Volksheim zu engagieren – aber dort den Flüchtlingen nicht etwa Unterricht zu erteilen, sondern im Gegenzug von ihnen zu lernen: „Es ist auch eine der eigennützigsten Angelegenheiten“, so Kafka. „Man hilft nicht, sondern sucht Hilfe, es ist aus dieser Arbeit mehr Honig zu holen, als aus allen Blumen der Marienbader Wälder“ (an Felice, 30.7.1916).

Hinsichtlich des Konzeptes einer wechselseitigen Assimilation hat Europa im Allgemeinen, und Deutschland im Besonderen, sich immer schwergetan. Von den paradigmatischen „Fremden“, den europäischen Juden wurde erwartet, sich unter Aufgabe ihrer kulturellen Identität an die jeweilige Landeskultur anzupassen: Alles dem Juden als Individuum, nichts den Juden als Gemeinschaft, so versprach es die Französische Revolution. Obwohl die Betroffenen zur Aufgabe ihrer Sprache, Kultur und teilweise auch ihrer Religion gezwungen wurden, seien sie dankbar gewesen, kritisiert der deutsch-jüdische Schriftsteller und Jurist Josef Kastein in seiner 1931 erschienen „Geschichte der Juden“ - dankbar sogar für Jahrhunderte der Verfolgung: „Im Überschwang ihrer Bereitwilligkeit, alles Erdenkliche zu konzedieren, formulieren sie sogar einen Dank dafür, daß die Häupter der christlichen Kirche ihnen allzeit Wohlwollen und Schutz entgegengebracht hätten. Die Quelle solcher historischen Erkenntnis bleibt dunkel.“

Der sprichwörtliche Dank des Flüchtlings zieht sich nach dem Ersten Weltkrieg, im Zuge der ersten weltweiten Flüchtlingskrise, durch die Feuilletons und Reportagen. Joseph Roth findet ihn zum Beispiel in Paris bei Herrn Weingrod: „Ich habe Herrn Weingrod gefragt: ‚Wie sind Sie nach Paris gekommen?‘ Da sagt Herr Weingrod: ‚Excusez, monsieur, pourquoi nicht nach Paris? Aus Rußland schmeißt man mich hinaus, in Polen sperrt man mich ein, nach Deutschland gibt man mir kein Visum. Pourquoi soll ich nicht kommen nach Paris?‘ Herr Weingrod ist ein tapferer Mann […] und ist immer guter Laune. Er hat sich in Frankreich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Viele Ostjuden haben freiwillig und aus Dankbarkeit im französischen Heer gedient.“

Etwa sieben Millionen Menschen waren nach dem Ersten Weltkrieg auf der Flucht, nach dem Zweiten Weltkrieg waren es über 30 Millionen. Diese beiden humanitären Desaster hatten zur Folge, dass die internationale Staatengemeinschaft das Problem der Flucht wahrnahm und Handlungsbedarf erkannte. Anfang der 1920er Jahre reagierte der neuberufene Hochkommissar für Flüchtlingsfragen beim Völkerbund, der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen, mit einem Reisedokument für staatenlose Flüchtlinge. Obwohl Marc Chagall, Anna Pawlowa und andere Prominente zu den Inhabern dieses „Nansenpasses“ gehörten, wurde es keine Erfolgsgeschichte. Vladimir Nabokov schrieb von einem höchst minderwertigen „Dokument von kränklich grüner Farbe. Sein Inhaber war wenig mehr als ein auf Bewährung entlassener Verbrecher und hatte die größten Strapazen auf sich zu nehmen, wenn er etwa ins Ausland reisen wollte – je kleiner die Länder, desto mehr Umstände machten sie.“ (Nabokov, Erinnerung sprich, 1999, S. 375).

Nach dem Zweiten Weltkrieg, der siebenmal so viele Menschen heimatlos zurückließ wie der Erste, verpflichtete die Genfer Flüchtlingskonvention alle unterzeichnenden Nationen, Flüchtlinge nicht nur Nothilfe anzubieten sondern auch Zugang zu Arbeitsmärkten und Sozialleistungen, und darüber hinaus ihre Bildungsabschlüsse anzuerkennen. Vor allem ging es darum, die Welt dafür zu sensibilisieren, was Flucht für den Einzelnen bedeutet. Benjamin Ferencz, Chefankläger in den Nürnberger Prozessen, die sich dieser Tage zum 75. mal jähren, zog für sich einen Schluss aus dieser Erfahrung: Ferencz ist ein ausgesprochener Gegner der aktuellen amerikanischen Einwanderungspolitik, im Besonderen der Trennung minderjähriger Kinder von ihren Eltern. Die Ablehnung von Hilfsbedürftigen ist in den Augen des inzwischen 100-jährigen Juristen nichts anderes als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Heute befinden sich fast 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, 15 Millionen mehr noch als vor drei Jahren. Alle zwei Sekunden flieht ein Mensch. Hinter diesen Zahlen stecken persönliche Schicksale, aber auch Träume und Wünsche. Ohne Heimat, ohne Pässe fehlt es den betroffenen Menschen an jeglichen Rechten – selbst am Recht, eine politische Vertretung zu wählen, die für sie eintritt.  Gäbe es eine ‚Nation of Refugees‘, wäre die Bevölkerung dieses Landes zahlenmäßig fast so groß wie Deutschland – allerdings ohne ein BIP von 4 Billionen Dollar. 2015 lancierte ein amerikanisch-israelischer Geschäftsmann die Idee einer Refugee Nation – die Flagge (ein schwarzer Balken auf rettungswestenorangem Grund) gibt es seitdem. Das Projekt, das mit dem Kauf einer unbevölkerten Insel realisiert werden sollte, fand jedoch keine praktische Umsetzung.

Dina Nayeris Buch „Der undankbare Flüchtling“ ist, und das muss betont werden, nicht nur ein Buch über oder gar für Geflüchtete. Ohne den Zeigefinger moralisch zu erheben, wendet es sich an alle Gesellschaften, die ihre Chance verpassen, eine Form der beiderseitigen Assimilation zuzulassen und zu fördern. Immigranten würde gern an den Kopf geworfen, dass sie undankbar seien, sagt die Autorin. Dabei sei es doch nichts anderes als ein Zufall, dass der eine in diesem Land geboren sei und deshalb auf der Flucht, der andere in jenem und folglich sicher und geborgen. (Der Standard, September 2020)

Flucht ist eine universelle Erfahrung – und sollte auf diese Weise für jeden von uns anknüpfbar und zumindest ansatzweise verständlich sein. Es ist schließlich kein Zufall, dass Fluchterzählungen eine zentrale Rolle für Religionen als Wertesysteme spielen: vom Auszug der Israeliten aus Ägypten – und der Flucht vor einem grausamen Pharao, bis hin zu Maria und Josefs Flucht in die entgegengesetzte Richtung vor König Herodes. 

Der Verlust einer Heimat – in Raum oder Zeit – sei universell und verbinde uns alle, so Dina Nayeri: „Wir driften von den sichern Orten unserer Kindheit davon. Es gibt keinen Weg zurück. (…) Was die Vergangenheit angeht, so sind wir alle Migranten und unsere Heimat lebt in der Erinnerung, wo wir sie eingeschlossen haben und so tun, als wäre sie unverändert.“ (391)

Eine kluge Einsicht am Ende eines wichtige Buches, die gehört und verstanden werden soll, da sie uns über alle Grenzen und - existentiell unterschiedlichen - Erfahrungen hinweg vereint: Was die Vergangenheit angeht, so sind wir alle Migranten und unsere Heimat lebt in der Erinnerung.

Over the past years the voices raised against asylum seekers and people in need have become more exacerbated; and now in the wake of the pandemic uncertainty and poverty that has become noticeable and visible even in the richest countries of the world, and these voices have become quite offensive: The one side demands that we should be true to our inhumane approach; and we should definitely not let any refugees into our country and thus should not pour oil on the fire of the “New Rightist Movements” is the opinion of the others. And therefore, the fate of the refugees – at our borders and in the midst of us – is no longer a topic that is worth a headline. We are by far too busy licking our own wounds.

In the new reality of the virus „The Ungrateful Refugee“ is by far more significant – especially in these days when the remembrance of Sophie Scholl is misused in self-glorifying performances by the objectors of infection protection. The Geschwister Scholl Prize is awarded for a book which „is marked by spiritual independence and is suitable to promote civil freedom, moral intellectual and aesthetic courage and to give the current responsibility important impulses.“

The author and publicist Dina Nayeri – born in Isfahan in 1979 – recounts from a very vivid personal point of view the story of life on the run, of her own flight and that of other people she encountered in European cities and near seaside Mediterranean holiday esplanades. As a child she herself was a refugee who after many different stations of life was granted asylum in the USA together with her mother and her brother.

When asked why, after writing two novels, she published a non-fiction book with the title „The Ungrateful Refugee“, Dina Nayeri replied stating that she wanted to present „the arguments of flight and exile from her own experience without the veil of fiction“ (The Standard, September 2020). She reports – sensitively and vividly – of people who are fleeing persecution, wars and civil wars in the hope of a life in peace and freedom. And she writes about an attitude towards people searching for help which has become severely entrenched since she fled her home over 30 years ago. As Stephen Miller, consultant to the American President recently stated in an interview: The famous poem of Emma Lazarus, The New Colossus, has nothing to do with the Statue of Liberty and is nothing more than an insignificant detail which was added in hindsight. It is thus hardly surprising that this statement is not true. In the course of the past four years the immigration policy of the USA has drastically changed and not surprisingly the purpose has been to alienate Lady Liberty from its historical destination as „Mother of Exiles“, the name Emma Lazarus gave to the colossus of stone when accompanying its construction with her poem. Lazarus knew what she was talking of: The young activist born into a large Sephardic family stood up for the interests of Russian Jews who had been passing the Port of New York since the 1880s in their thousands – all refugees fleeing from the pogroms of the Czar.  

„Flight is the first step in the life of a migrant“ (22), as Dina Nayeri describes. With this first step a new being is born who has lost his security and exchanges his past for hope of life without fear.

Francesca Sanna, illustrator and author of the poetic children’s book „The Journey“ describes this moment of making the decision in a conversation with a mother and her children: „‘What kind of a country is that?‘, we ask Mummy. ‚That is where one is in safety‘, she replies. ‚And where is this country?‘, we ask.“ The mother reaches up to the top shelves of an immense bookcase searching for information on the country in which they will be safe. „We do not want to leave, but Mummy says that we are setting out on a wonderful adventure.“ The suitcases are packed, the books – and thus the history, culture and past – are left behind.  

By taking this step to flee a person becomes a migrant and loses his native affiliation – a transformation which Dina Nayeri attentively traces based on the memories of her “own convoluted past“. She uses the following words to describe her situation: „At that time I did not realise that, after fleeing you feel euphoric. It is like leaping into fog, extinguishing one’s former life, murdering one’s former self. Flight creates a chameleon, a vigilant being, always in disguise.“ (22-23)

Hannah Arendt 1943 describes how far this experience of loss reaches and which consequences it has in her essay „We Refugees“ for those, like themselves, who have fled from Europe: „We have lost our language and with that the naturalness of our reactions, the simplicity of our gestures and the natural expression of our feelings. […] Our identity changes so frequently that it is difficult for anybody to find out who we are in reality. […] and that means the breakdown of our own private world.“ (Arendt, We Refugees, 2016, 10f, and 25, published by Thomas Meyer)

Arendt continues writing that the Jewish refugees of the 1930s and -40s had been aware of the fact that „directly following the ostracism of the Jewish people the majority of European nations were outlawed. The refugees driven from one country to the next represent the avantgarde of their peoples.“ As Thomas Meyer rightly concludes the refugee issue has become an international matter according to Hannah Arendt bearing this in mind. Everybody can face flight – associated with the loss of one’s home country and language, loss of social status, ridiculousness. Refugees have lost the right of „having rights – and that is synonymous with living in a system of relationships in which a person is judged on the grounds of acts and opinions“, and they are no longer capable of regaining it. (Arendt, Origins of Totalitarianism, 2001, 614)

On her travels through refugee camps and refugee shelters Dina Nayeri is once told a story, „that concrete is poured into the shoes of migrants and that they are then told that they now have roots”. However, having roots is not the same as being prevented from walking away.‘ […] Do not make friends with the natives, so that you do not get too accustomed to living in this country. Do not strike any roots in your shoes filled with concrete. Once you are recognised as a refugee that does not mean that you are a free man overnight. You are nevertheless still a stranger...“ (196-197)

A process of assimilation, adaptation  and forgetting follows. In very personal descriptions the refugee Dina Nayeri describes what she demanded of herself and her body to ensure that she would be able to act so successfully as a chameleon in making her own free decisions. Like other refugees she exchanged the diversity of her own culture for the gratitude of assimilation – Oklahoma instead of Isfahan, fast food instead of berberis and pomegranate seeds, an operated nose, the loss of her mother tongue. Assimilation always remains unilateral: „I do not like the word, as it implies that you have to give up your own individuality“, as Dina Nayeri mentioned in an interview. „Why does assimilation always emanate from one side? Both sides must participate. I like the expression of bilateral assimilation in which people mutually influence each other in a loving way.“ (The Standard, September 2020). Only in this way is it possible for societies to become more complex. With the demand for unilateral assimilation a society deprives itself of the opportunity to benefit from enrichment – that namely the diversity of the new and old cultures will be borne alternatively by all. In a situation of mutual assimilation the question of gratitude does not arise for any one side individually – or for both sides and the latter can be based on vested interests: Franz Kafka recommended his fiancée Felice Bauer in summer 1916, to devote personal time at the Jüdisches Volksheim in Berlin – but not solely with the intention of giving lessons to the refugees, but in return to also learn from them: „It is also one of the most self-serving affairs“, according to Kafka. „You do not help, but search for help, and you will get more honey from this work than from all flowers in the Marienbader Wälder“ (to Felice, 30.7.1916).

Europe in general and Germany in particular has always had difficulty with regard to the concept of mutual assimilation. It was expected of the paradigmatic „stranger“, the European Jew, to adapt to the respective national culture, at the same time giving up their own cultural identity: The French Revolution promised:  All to the Jew as an individual, nothing to the Jews as a community. Despite the fact that the persons in concern were forced to give up their language, culture and partly also their religion, they nevertheless remained grateful, as the German-Jewish author and lawyer Josef Kastein criticised in his „History of the Jews“, published in 1931 – grateful even for centuries of persecution: „In the exuberance of their willingness to concede to everything, they even worded a letter of gratitude thanking the leaders of the Christian church that they treated them with benevolence and had offered them protection at all times.  The source of such historical findings is kept under lock and key.“

The proverbial gratitude of the refugee is reflected in the feuilletons and reports after World War I, in the scope of the first global refugee crisis. Joseph Roth finds it for example in Paris in an article by Mr. Weingrod: „I asked Mr. Weingrod: ‚How did you get to Paris?‘ Mr. Weingrod replied: ‚Excusez, monsieur, pourquoi not to Paris? I was thrown out of Russia, locked away in Poland, not granted any visa for Germany. Pourquoi, why should I not come to Paris?‘ Mr. Weingrod is a brave man […] and is always in a good mood. He voluntarily enrolled for military service. Lots of Jews from the east voluntarily served in the French Army out of gratitude.“

After World War I about seven million refugees were on the run, after World War II over 30 million were on the run. The consequence of these two humanitarian disasters was that the international community of states had to identify the problem of flight and the need to act. At the beginning of the 1920s the newly appointed High Commissioner for Refugees of the League of Nations, the Norwegian polar researcher Fridtjof Nansen, reacted by introducing a travel document for stateless refugees. Despite the fact that Marc Chagall, Anna Pawlowa and other celebrities owned this „Nansen Passport“, it was nevertheless not a success story. Vladimir Nabokov described it as a highly inferior „document of a sickly looking green colour. Its owner was hardly more than a perpetrator released on parole and had to face the greatest difficulties if he wanted to travel to a foreign country – the smaller the countries, the more complicated the circumstances.“ (Nabokov, Erinnerung sprich, 1999, S. 375).

After World War II which left more than seven times as many people homeless than in the case of World War I, the Geneva Convention on Refugees committed all undersigning nations to not only grant refugees access to emergency relief, but also access to labour markets and social benefits and to additionally acknowledge their educational certificates. Above all the aim was to sharpen the world‘s awareness for what flight means for the individual. Benjamin Ferencz, Chief Prosecutor in the Nuremberg Trials marking their 75th anniversary in these days concluded from this experience: Ferencz is a market opponent of the current American immigration politics; in particular, of the separation of minor children from their parents. The rejection of persons in need of help in the eyes of meanwhile 100-year old legal practitioner is nothing more than a crime against humanity.

Today almost 80 million people worldwide are on the run, 15 million more than three years ago. One in two seconds somebody escapes from his own country. Personal fates, but also dreams and wishes are behind these statistics. Without a home country, without a passport the people in concern have no rights at all – they are even deprived of the right to elect a political representation to protect and enforce their rights. If there were a ‚Nation of Refugees‘, the population of this country in numbers would be almost as large as Germany – however without a GDP of 4 billion Dollars. In 2015 an American-Israeli businessman launched the idea of a Refugee Nation – the flag (a black strip on life-vest orange background) has existed since then. The project which was to be realised by purchasing an unpopulated island has, however, not been put into practise.

Dina Nayeri‘s book „The Ungrateful Refugee“ is, and that must be underlined, is not only a book about or even for refugees. Without an admonishing forefinger it is addressed at all societies that miss their chance to allow and promote a form of mutual assimilation. Immigrants are often readily accused of not being grateful, according to the publicist. That, however, is a mere coincidence that the one person is born in this country and is therefore on the run and the other is born in another and thus lives a safe and protected life. (The Standard, September 2020)

Flight is a universal experience – and should be at least addressable and comprehensible to a certain extent for us. After all it is no coincidence that flight stories play such a central role for religions in that they represent sets of values: from the flight of Israelites from Egypt – and the flight from a cruel pharaoh, to Mary and Joseph’s flight in the opposite direction from King Herod.  

The loss of a home country – in space or time – is universal and unites us all, according to Dina Nayeri: „We drift away from the secure havens of our childhood and there is no return. (…) As far as the past is concerned, we are all migrants and our home country lives in our memories where we have enclosed it and act is if nothing has changed.“ (391)

A wise statement at the end of an important book that should be heard and understood, as it unites us all across all borders encompassing all our existentially different experiences: As far as the past is concerned, we are all migrants and our home country lives in our memories.  

Als mein Verleger mich anrief, um mir die Neuigkeit mitzuteilen, lief ich gerade in strömendem Regen durch Paris und versuchte, meinen Schirm am Davonfliegen zu hindern, während mir die Maske vom Gesicht rutschte. Doch als ich den Satz „für moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut“ hörte, blieb ich mitten auf der Straße stehen. Ich war tief bewegt, denn ich habe schon mein ganzes Leben mit diesem Wort „Mut“ gekämpft.

In Sommer vor meiner Einschulung in Isfahan reisten meine Mutter und ich nach London, um Verwandte zu besuchen. Dort konvertierten wir heimlich in unserem Schlafzimmer vom Islam zum Christentum. Ich hörte die Geschichte Jesu und war sofort überzeugt - wie es sechsjährige Kinder häufig sind. Nun waren wir Konvertiten, und viele warnten uns, dass es Jahre brauchen würde, um ein widerständiges Herz zu entwickeln. Dann kehrten wir in den Iran zurück, ich verschwand unter einem Kopftuch und wurde in eine islamische Schule geschickt. Ich was fest entschlossen, tapfer zu sein.

Eines Tages drückte mir eine Lehrerin, die wegen früherer Missetaten ärgerlich auf mich war, ein Megafon in die Hand und verkündete mir, dass ich die Ehre hätte, den Sprechchor der Schule anzuführen. Ich fand mich vor den aufgereihten Mädchen in ihren Schuluniformen und Hidschabs wieder, mein Mund war trocken, und ich las von einem Blatt Papier ab, das meine Lehrerin vorbereitet hatte: „Tod den Amerikanern, Tod den Israelis.“ Mein Gesicht brannte, als ich diese Worte in das Megafon sprach. Mit noch nicht einmal acht Jahren war ich schon zum Judas geworden.

Wie konnte ich mich selbst nur so falsch einschätzen? Danach wurden wir zu Geflüchteten, weil meine Mutter mutig gewesen war und ihre geliebte Untergrundkirche niemals verleugnet hatte, und das machte diesen grauen Morgen auf dem Schulhof nur noch schmerzlicher.

Manchmal, wenn die Geschichte meiner eigenen Schwächen mich bedrückt, sehe ich mir Filme über mutige Menschen an. Und das war das zweite, was mir an diesem regnerischen Tag plötzlich einfiel, als ich von der Verleihung des Geschwister Scholl Preises erfuhr. Ich dachte: „Ich kenne diese Geschichte über die Geschwister, die Weiße Rose, die Flugblätter und die Hinrichtung durch das Fallbeil. Wo habe ich sie nur gehört?“ Zuhause angekommen und wieder halbwegs trocken, schlug ich Hans und Sophie nach. Und da erinnerte ich mich daran, dass dies eine unserer Lieblingsgeschichten in der Untergrundkirche von Isfahan gewesen war. Die Widerstandskämpfer der Weißen Rose verteilten Flugblätter in einem feindlichen Land, so wie die Mitglieder unserer Untergrundkirche direkt unter den Augen der Islamischen Republik geheime Pamphlete unter Türschlitzen durchschob und in offene Autofenster steckte. Meine Mutter stapelte sie in ihren Kofferraum und bot sie ungeniert den Frauen an, die ihre Arztpraxis aufsuchten. Zusammen mit anderen konvertierten Christen sahen wir uns gelegentlich einen untertitelten Film an, in dem tapfere junge Deutsche Widerstand leisteten und ihr Leben dafür gaben, anderen in dunklen Zeiten beizustehen. Wenn Tyrannei und Verfolgung herrschen, werden geheime Helfer zu Rettern – wie die Deutschen, die während des Holocausts Juden versteckten. Wie die Muslime, die unser Geheimnis in der Islamischen Republik bewahrten. Wie die Einheimischen, die uns in Flüchtlingscamps überall in Europa erwarten. Die Mutigen, die Gläubigen, die Aufopferungsvollen, wie Hans und Sophie Scholl.

Ich wollte immer so sein wie sie.

Und dennoch scheitere ich auch heute noch mindestens vier bis fünf Mal am Tag an meinen moralischen Verpflichtungen und meinen heiligsten Überzeugungen. Lange habe ich mich damit getröstet, dass ich mein schwaches Herz für immer hinter Ideen, guter Prosa und Vorstellungskraft verbergen könnte. Diese Dinge würden ausreichen. Doch dann lernte ich etwas über Erzählstrukturen, und ich begann, auf den ersten Akt der alten Geschichten über Mut und Ehre zu achten – jenen Teil, in dem die Fehltritte der Vergangenheit zum Tragen kommen. Nach diesem ersten Akt, der derart von Sünden belastet ist, kann ein Mensch beschließen, aufzugeben und aus Scham zu verstummen. Doch wenn er es tut, gibt es keine Geschichte mehr.

Als sie noch Kinder waren, traten Hans und Sophie Scholl in Hitlers Jugendorganisationen ein. Wie ich skandierten sie Parolen, die ihnen später vermutlich Albträume bereitet haben. Als sie die Wahrheit erkannten, räumten sie diesen Albträumen keine Macht mehr ein. Stattdessen änderten sie ihren Kurs, indem sie Verantwortung übernahmen, mit umso mehr Leidenschaft, weil sie bereits einmal betrogen worden waren. Ihr Mut war nicht bedingungslos, er war schwankend, ungewiss und wurde ständig auf die Probe gestellt. Er wuchs und wurde immer widerstandsfähiger, während die Ungeheuer immer wütender und die Anfechtungen immer bedrohlicher wurden. Doch Sophie und Hans ließen nicht nach in dem Bemühen, Konvertiten für ihre gute Sache zu finden, deshalb verfassten sie ihre Flugblätter, deshalb wurden sie verhaftet. Und wenn neue Helfer auftauchten, hießen sie sie willkommen.

Auch heute gibt es absolutes Unrecht in unserer Welt, Böses, das es verdient, ausgelöscht zu werden, wie damals in der Welt von Sophie und Hans. Doch selbst wenn Überzeugungen ganz und gar verwerflich sein können, sind es die Menschen meistens nicht. William James schrieb in seinem Werk Die Vielfalt religiöser Erfahrung über die Psychologie der Konversion: „Selbst spät im Leben kann noch ein Auftauen stattfinden, selbst des verstocktesten Menschen Herz kann weich werden und sich religiösem Leben erschließen.“ Wir in unseren hochentwickelten Gesellschaften dürfen diejenigen, die sich Fragen stellen und unsicher sind, nicht zurückweisen, denn sie sind dabei, ihre Herzen zu öffnen. Es sind neue Helfer, die unter den Engherzigen leben und ihre Sprache sprechen. Sie können einen wahrhaftigeren und nachhaltigeren Einfluss nehmen als wir alle.  

Ich sorge mich um die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen, darüber, was aus unserem Verantwortungsgefühl anderen gegenüber werden wird. Ich sorge mich um eine selbstsüchtige Gesellschaft, die den Verletzlichen und Heimatlosen den Rücken zukehrt. Ich sorge mich, dass unser Anspruchsdenken über die demütige Entschlossenheit, die Zufälligkeiten der eigenen Geburt zu überwinden, obsiegen wird. Ich sorge mich, dass wir unseren Kindern nicht ihre eigene Geschichte vermitteln, darüber, wie sie zu ihren Privilegien oder Benachteiligungen gekommen sind. Ich sorge mich, dass die Tyrannei sich in unsere Herzen schleicht, verkleidet als Nationalstolz, Stammesdenken und Selbsterhaltungstrieb. Doch zugleich sorge ich mich um die puritanische Verurteilung vergangener Fehltritte. Ich sorge mich um eine Kultur, die allzu schnell diejenigen verurteilt, die einen Fehler gemacht haben, die gestolpert und gefallen sind und versuchen, wieder aufzustehen.

Den Menschen, die wie ich demütig geworden sind angesichts  eines Lebens voller Fehler, möchte ich sagen: Es ist noch nicht alles verloren. Tapferkeit ist nicht ohne Makel. Sie braucht keine reine Weste; sie ist ein unordentlicher Hausgast, der jederzeit eintreffen kann, ohne sich vorher anzukündigen. Ich habe mein Buch für die Helfer und die Konvertierten dieser Welt geschrieben, und für diejenigen, die sich noch heute dem Kampf für die Leben der Heimatlosen anschließen können, ungeachtet dessen, welches Unrecht sie in ihrer Vergangenheit begangen haben mögen. Ich habe es für jene geschrieben, die sich mehr von der Liebe als von Rechtschaffenheit berühren lassen, die helfen wollen, aber nicht wissen, wie. Ich habe es in der Überzeugung geschrieben, dass niemand ohne Makel ist. Der Anspruch auf Reinheit – eine der Lügen, gegen die die Geschwister Scholl ankämpften – ist gefährlich. Und das Streben nach einer solchen Reinheit führt in eine kalte, einsame Wildnis.

Ich fühle mich geehrt, diesen Preis im Namen zweier Menschen zu erhalten, die für geistige Unabhängigkeit, bürgerliche Freiheit und moralischen Mut stehen, in einem Land, das ebenfalls ein erstaunliches und „akutes Verantwortungsbewusstsein“ gezeigt hat, indem es Tausende von Geflüchteten und Migranten aufgenommen und versorgt hat. Schließlich waren es die Deutschen, die die langwierige und mühselige Arbeit übernommen haben, den  Faschismus im eigenen Land zu überwinden. Wir sind nicht vollkommen. Wir können uns verändern. Welche Schwächen und Fehler wir im ersten Akt unserer Geschichte auch haben mögen, im zweiten Akt können wir dieses Erbe ablegen, um im dritten Akt Erstaunliches zu vollbringen. Daran will ich weiterhin glauben. Und sehen Sie nur – ein türkisch-deutsches Ehepaar ist führend in der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19. Wenn Sie versuchen, sich vorzustellen, dass dies genau das Deutschland ist, von dem Sophie und Hans Scholl geträumt haben, in einer der dunkelsten Nächte des ersten Akts … was bewegt das in Ihren Herzen?

Übersetzung aus dem Englischen von Yamin von Rauch

When my publisher telephoned me with the news, I was running through a hard Paris rain, my mask slipping off as I tried to keep my umbrella from flying away. But I was struck by a phrase that made me stop in the street: for “moral, intellectual, and, aesthetic courage.” I was so moved. Because I have been struggling with this word, “courage,” my entire life.

The summer before I started primary school in Isfahan, Iran, my mother and I took a trip to London to visit relatives and converted from Islam to Christianity, secretly, in our bedrooms. I heard Jesus’s story and instantly believed, as six-year-olds often do. We were converts now and warned by many that a resilient heart would take years to build. Then we returned to Iran, I was put under a headscarf, and sent to an Islamic school. I was determined to be brave.

One day, a teacher, angry for my earlier mischief, put a bullhorn in my hand and told me I had the honor of leading the school chants. I stood before rows of uniformed girls in hijab, my mouth dry, and read from a paper my teacher had prepared: Death to America. Death to Israel. My face burned as I read those words into the bullhorn. Not even eight years old, and already I was a Judas. How could I have been so wrong about myself? Then we became refugees precisely because my mother had been brave, never betraying her beloved underground church; this sharpened the sting of that gray schoolyard morning.

Sometimes, crippled by my history of weaknesses, I watched movies about brave people. And that is the second thing that struck me on that rainy day, when I was told about the Geschwister Scholl Prize. I thought, I know this story about the siblings and the white rose and the pamphlets and the guillotine. Where have I heard it?  At home, after I dried off, I looked up Hans and Sophie. And I remembered that this was one of our favorite stories in Isfahan’s underground Christian church. The White Rose activists distributed tracts in a hostile country just as our underground church, under the nose of the Islamic Republic, slipped secret pamphlets under doors and into car windows. My mother filled the trunk of her car with them and she offered them brazenly to women who visited her medical office. Sometimes with other Christian converts, we watched a dubbed movie about Germans who resisted, brave young people who sacrificed their lives to be helpers in dark times. In tyranny and persecution, secret helpers are the saviors — Germans who hid Jews during the Holocaust. The Muslims who kept our secrets from the Islamic Republic. The native-born Europeans awaiting us at refugee camps across Europe. The brave, the faithful, the self-sacrificing, like Hans and Sophie Scholl. 

I have always wished to be like them.

And yet, even now, I fail in my moral duty, in my most sacred convictions, at least four or five times a day. For a long time, I soothed myself by thinking I could forever disguise my feeble heart with ideas, good prose, and an imagination. Those things would be enough. But then someone taught me about story structure, and I started paying attention to the first acts of the old stories about bravery and honor—the part of the stories where past frailties define everything. After the first act, laden down by a portfolio of sins, a person might decide to stop trying, to be silenced by shame. But if she does that, there is no more story.

As children, Hans and Sophie Scholl joined Hitler’s youth clubs. Like me, they chanted things that might have appeared in their nightmares later. When they saw the truth, they gave no more power to those nightmares. Instead they changed course and led the charge in a better direction, all the more ardent for having once been tricked. Their bravery wasn’t immaculate or absolute. It was limping and uncertain and continually tested. It lived and grew, ever more resilient as monsters became fiercer and temptations darker. Their most urgent aim, the reason for their pamphlets, their arrest, was to get converts for their good cause. And when new helpers arrived, they welcomed them.

Today there are absolute wrongs in our world, evils that deserve to be stamped out, just as there were in Sophie and Hans’s world. But while ideas can be wholly rotten, people rarely are. William James wrote about the psychology of conversion in Varieties of Religious Experience, “Even late in life some thaw, some release may take place, some bolt be shot back in the barrenest breast, and the man's hard heart may soften and break into religious feelings.” We, in our sophisticated societies, mustn’t turn away the questioning and the unsure, people on the brink of remaking their hearts. New helpers who live among and speak the language of the closed-hearted. They can make a truer and more lasting impact than any of us.

I worry about the world we are leaving to our children, about what is happening to our sense of duty to each other. I worry about a selfish society turning its back on the most vulnerable and displaced. I worry about the gospel of entitlement overpowering a humble determination to transcend the accidents of our birth. I worry that we are not teaching our children their history, how they came into their riches or deprivations. I worry about tyranny sneaking into our hearts under the mask of national pride, tribal identity, and self-preservation. But at the same time, I worry about puritan judgments of past failings. I worry about a culture that is quick to dismiss anyone who has made a mistake, who has stumbled, fallen, and are trying stand up again.

To those like me, who have been humiliated by a lifetime of mistakes, I want to say nothing is lost. Bravery is not pristine. It does not require a clean record; it is a messy houseguest that can arrive at any moment, without notice. I wrote my book for the helpers and converts in this world, and for those who, whatever their past cruelties or wrongs, might now join the struggle for the lives of the displaced. I wrote it for those who are more moved by love than rectitude, who want to help but can’t think of how. I wrote it out of a belief that no one is unimpeachable. Claims of purity—one of the lies that the Scholl siblings fought against—are dangerous. And the quest for such purity leads to a cold, solitary wilderness.

I am honored to be given this award in the name of two people who embody intellectual independence, civil freedom, and moral courage, in a country that has also demonstrated a stunning and “present awareness of responsibility”— a country that welcomes and nurtures thousands of refugees and immigrants. In the end, it was the Germans who did the long, slow work of uprooting fascism from their soil. We’re not perfect. We can change. Whatever our weaknesses in the first act of our stories, we can shed their legacies in act two, and be astonishing in act three. I have to believe that. And look, a Turkish-German couple now leads the way to a Covid vaccine. If you try and imagine that, somewhere in act one, on the darkest nights, this is precisely the Germany that Sophie and Hans Scholl dreamed about… what does that do to your heart?