Preisträger 2021

Joe Sacco

Wir gehören dem Land

Aus dem Englischen von Christoph Schuler
Edition Moderne, 2020
ISBN: 978-3-03731-198-1

Autor

Joe Sacco

Joe Sacco, geboren 1960 in Malta, wuchs in Australien und in den USA auf. An der Universität Oregon studierte er Journalismus. Er gilt als der Pionier der Comic-Reportage. Seit den 1990ern bereist er die Welt und berichtet als zeichnender Journalist aus Krisen- und Kriegsgebieten. Große Aufmerksamkeit erregten seine Reportagen über den Nahostkonflikt und den Bosnienkrieg. In weiteren ausführlichen Arbeiten widmete er sich dem Schicksal afrikanischer Migranten auf Malta, tschetschenischen Flüchtlingen im südlichen Russland, U.S. Marines im Irak und der Armut im ländlichen Indien. Joe Sacco lebt in Portland, Oregon.

Begründung der Jury

Von München, New York, Montreal oder Portland (Oregon) aus gesehen leben die Dene am Ende der Welt, in bis heute kaum mit Straßen erschlossenen Gegenden der Nordwest-Territorien Kanadas. Die Dene selbst sehen sich mitten in einer Welt leben, von der sie sich nicht abgrenzen, wenn sie dazu nicht gezwungen werden. Das zeigt schon ihr Name: Dene heißt einfach Volk. Der deutsche Titel von Joe Saccos Buch bringt ihre Weltsicht auf eine Formel, die wie ein Bekenntnis aussieht, aber für die Dene eine Selbstverständlichkeit ausdrückt: „Wir gehören dem Land“. Diese Ansicht ist das Gegenteil des Besitzindividualismus, mit dem die weißen Europäer und ihre Abkömmlinge in Übersee seit Jahrhunderten rechtfertigen, dass sie ihren Einflussbereich über die gesamte Erdoberfläche ausdehnen und die von ihnen vorgefundenen Völker zur Anpassung nötigen oder verdrängen. Das durch Bearbeitung des Landes geschaffene Privateigentum macht zu seinem Schutz die Aufteilung der Welt in Staaten notwendig: So hat der englische Philosoph John Locke den Kolonialismus begründet. In der Sicht der Dene kehrt diese Lizenz zur Ausbeutung und Privatisierung die natürlichen Verhältnisse um. Um sich und ihre Kinder so zu versorgen, wie sie es von ihren Vorfahren gelernt haben, sind sie auf Zusammenarbeit angewiesen, mit dem Land und miteinander. Man entnimmt dem Land, was man zum Leben braucht, und muss ihm dafür etwas zurückzahlen. So sagt es Saccos Originaltitel: „Paying the Land“.

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Statement of the Jury

Viewed from Munich, New York, Montreal or Portland (Oregon), the Dene live at the end of the world, in Canada’s still largely inaccessible Northwest Territories. The Dene consider themselves to be living in the midst of a world from which they do not distance themselves, unless compelled to do so. Their name illustrates this world view. Dene simply means people. The German title of Joe Sacco’s book “Wir gehören dem Land” [We belong to the land] conveys this world view as an equation akin to a creed, but which in the Dene’s eyes is self-evident.” This view is the opposite of the possessive individualism by which white Europeans and their descendants overseas have for centuries justified the expansion of their influence across the entire surface of the earth, subjugating or displacing the indigenous peoples in the process. The private property created through the appropriation of land requires the division of the world into states in order to protect it. The English philosopher, John Locke justified colonialism on this contention. In the Dene’s view, this licence to exploit and privatise the land reverses natural conditions. To secure their and their children’s livelihood as they learned from their ancestors, they depend on cooperation, with the land and with each other. You take from the land what you need to live and in return, you must pay something back. As Sacco’s original English title says: “Paying the Land.”

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Verleihung

Der Festakt zur Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises 2021 konnte Pandemie bedingt nicht stattfinden. Die Überreichung der Urkunde wurde 2022 im kleinen Kreis nachgeholt. Die 2. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und Klaus Füreder, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern e.V., überreichten als Stellvertreter der Stifter die Urkunde. Die Laudatio verfasste Andreas Platthaus.

Würdigung von Klaus Füreder

In ihrem fünften und vorletzten Flugblatt, das die Weiße Rose im Januar 1943 bereits mit Blick auf die sich abzeichnende Kriegsniederlage des Deutschen Reiches und den Untergang des Dritten Reiches verfasst hat, stehen die Werte und Prinzipien im Zentrum, die „die Grundlagen des neuen Europa“ werden sollen.

Diese lauten „Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses und Schutz des einzelnen Bürgers vor Willkür“. 

Wir haben derzeit leider wieder Krieg in Europa. Umso wichtiger ist es mir deshalb bei diesem Anlass auf diese elementaren Rechte der Bürger eines Landes hinzu-weisen, die insbesondere für den Buchhandel und das Verlagswesen die zentralen Pfeiler unseres gesell-schaftlichen Selbstverständnisses darstellen. Vor allem auch dann, wenn es um das Benennen und Aufdecken von Verbrechen an ganzen Völkern geht.  

Das Buch von Joe Sacco „Paying the Land” oder wie es in der deutschen Ausgabe heißt „Wir gehören dem Land“, widmet sich als Werk des Graphic Journalism dem erschütternden Schicksal der Dene, einem indigenen Volk im unwirtlichen Nordosten Kanadas.

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Laudatio von Andreas Platthaus

Als Joe Sacco 2011 Hamburg besuchte, zog er durch die Stadt und suchte nach Zeugnissen des Krieges, von dem er wusste, wie böse er dort gewütet hatte. Und er war beeindruckt von der hohen schlichten Stele direkt am Rathaus, die an die Opfer der Bombennächte erinnert. Joe Sacco ist immer auf der Seite der Opfer. Das hat er mit Sophie Scholl gemein, die am 28. Oktober 1942 an ihren an der russischen Front eingesetzten Verlobten Fritz Hartnagel über dessen Vorgesetzte geschrieben hatte: „Weißt Du, daß sich nicht ihr ganzes Inneres gegen dieses Naturgesetz, den Sieg des Mächtigeren über das Schwache, aufbäumt, scheint mir schrecklich und entweder entartet oder ganz und gar unempfindsam. Schon ein Kind ist mit Grauen erfüllt, wenn es den Sieg eines mächtigen Tieres über ein schwaches, und dessen Untergang miterleben muß.“

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Laudatio von Andreas Platthaus (englisch)

When Joe Sacco visited Hamburg in 2011, he wandered the city looking for evidence of the war he knew had raged there. He was impressed by the tall, plain memorial to the victims of the city’s bombing, situated directly next to the town hall. Joe Sacco is always on the side of the victims. This is something he has in common with Sophie Scholl, who on 28 October 1942 wrote to her fiancé Fritz Hartnagel, who had been deployed to the Russian front, about his superiors: “The fact that their whole inner being does not rebel at that law of nature, the conquest of the weak by the strong, strikes me as dreadful and degenerate, or utterly and completely insensitive. Even a child is filled with horror at the triumph of a powerful animal over a weak one and at having to watch its doom.”

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Dankesrede von Joe Sacco

Ich möchte der Jury, dem Börsenverein des deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern, sowie allen Anwesenden für Ihr heutiges Kommen danken.

Es ist mir eine Ehre, den diesjährigen Geschwister-Scholl-Preis zu empfangen. Ich habe andere Auszeichnungen erhalten. Aber dieser Preis ist besonders. Er ist nach Hans und Sophie Scholl benannt, Geschwister, deren heroisches Handeln in dunkelsten Zeiten das Beste im Menschen sichtbar macht.

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Dankesrede von Joe Sacco (englisch)

I want to thank the jury committee, the Association of Publishers and Booksellers in Bavaria, the City of Munich, and all of you for being here tonight.

I am honored to receive this year’s Geschwister-Scholl Prize.  I have had other prizes, but this one is special.  It is named for Hans and Sophie Scholl, a brother and sister whose heroic actions in the darkest of times exemplify the very best of the human spirit.

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