Preisträger*in 2025

Coverdaten_Amlinger_Nachtwey_Zerstoerungslust

Carolin Amlinger/Oliver Nachtwey

Zerstörungslust

Elemente des demokratischen Faschismus

Suhrkamp, 2025
ISBN 978-3-518-43266-2

Autor*in

Amlinger_Nachtwey_c_JuergenBauer_SV_Quadrat

Carolin Amlinger, geboren 1984, ist Soziologin und Literaturwissenschaftlerin und am Departement Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Basel Projektleiterin.

Oliver Nachtwey, geboren 1975, ist Professor für Sozialstrukturanalyse am Fachbereich Soziologie der Universität Basel. Für sein Buch "Die Abstiegsgesellschaft" wurde er 2017 mit dem Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.

Begründung der Jury

Mit „Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“ legen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey ein Werk vor, das die politische Gegenwart ein­dringlich und zugleich mit großer Sensibilität ausleuchtet. Im Mittelpunkt steht die Erfahrung vieler Menschen, dass die Versprechen liberaler Demokratien – Freiheit, Teilhabe, soziale Sicherheit – zunehmend als unerfüllt wahrgenommen werden. Aus dieser Enttäuschung erwächst eine eigentümliche Lust an der Zerstörung.

Mehr…

Verleihung

Der 46. Geschwister-Scholl-Preis wurde am 25. November 2025 in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München an Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey verliehen. Oberbürgermeister Dieter Reiter und Klaus Füreder, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern e.V. (links), überreichten als Stellvertreter der Stifter die Urkunde. Die Laudatio hielt Thomas Krüger.

Ansprache von Dieter Reiter

Zum 46. Mal verleiht die Landeshauptstadt München – gemeinsam mit dem Landesverband Bayern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – den Geschwister-Scholl-Preis. Ein Preis, der uns jedes Jahr daran erinnert, dass Freiheit, Mut und Haltung keine Selbstverständlichkeit sind.

Wir zeichnen ein Buch aus, das – so die Jury – „von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit und moralischen wie intellektuellen Mut zu fördern und unserem Bewusstsein für die Gegenwart wichtige Impulse zu geben“.

Ein Buch, das uns nicht nur informiert, sondern herausfordert. Ein Buch, das uns zwingt hinzusehen. Ein Buch, das im besten Sinne an das Vermächtnis der Geschwister Scholl erinnert – und daran, dass Zivilcourage immer eine Entscheidung ist.

Das Buch, das wir heute auszeichnen, ist nicht nur klug – es ist hochaktuell: Es trägt den Titel „Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“  geschrieben von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey.

Die größte Gefahr für unsere Demokratie – darin sind sich alle Fachleute seit Langem einig – ist der Rechtsextremismus. 

Mehr…

Ansprache von Klaus Füreder

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Krüger, liebe Frau Amlinger, lieber Herr Nachtwey,

in Ihrer beängstigend schonungslosen Gesellschaftsanalyse „Zerstörungslust. Elemente eines demokratischen Faschismus“ versuchen Sie am Ende des Buches aufzuzeigen, wie ein neuer Antifaschismus beschaffen sein müsste.

Sie stellen fest: „Der dionysischen Kraft des Faschismus kann man allerdings nicht entgegentreten, indem man von allen verlangt, nüchtern den Tatsachen ins Auge zu blicken. Auch der Antifaschismus braucht ein geistiges Obdach. Etwas wofür es sich zu kämpfen lohnt.“

Ich habe mich im Zuge der Vorbereitung auf diese Rede gefragt, wie würden die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter sich heute verhalten, in einem Land, das den Nationalsozialismus überwunden zu haben glaubte und in dem nun – wie Sie beide wissenschaftlich eindrucksvoll bewiesen haben – offenkundig faschistische Narrative und Einstellungen erneut breite gesellschaftliche Anerkennung finden und in dem es nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis eine Partei wie die AfD an die Regierung kommt. In jedem Fall aber zeigt sich, dass rechtradikales Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Mehr…

Laudatio von Thomas Krüger

Sehr geehrte Carolin Amlinger, sehr geehrter Oliver Nachtwey, sehr geehrte Damen und Herren der Jury des Geschwister Scholl Preises 2025, meine Damen und Herren,

in meiner Erinnerung war die Zeit der friedlichen Revolution, des Mauerfalls und des Epochenumbruchs von 1989 von einem unglaublichen Aufbruchsgeist geprägt. Für viele Menschen im Osten Deutschlands herrschte eine aus heutiger Sicht naive, aber starke Hoffnung, dass die Demokratie und die damit verbundene Freiheit und Wiedervereinigung eine neue bessere Ära einläuten würde. In Ost wie West glaubte man, die größten politischen Kämpfe seien gewonnen und Demokratie, Freiheit und freie Marktwirtschaft in der Zukunft unbesiegbar.

Der Epochenumbruch war auch für mich und für viele in meiner Generation ein Moment der Ermächtigung und der Zuversicht. „Wir sind das Volk“ hieß es auf den Straßen der DDR im Herbst 1989 als Antwort auf die Durchsagen der Sicherheitsorgane: „Achtung, Achtung, hier spricht die Volkspolizei“. Aber schon als aus dem Motto „Wir sind das Volk“ “Wir sind ein Volk“ wurde, haben sich die People of Color aus der DDR gedacht: Vorsicht! Jetzt sind wir wahrscheinlich nicht mehr gemeint.

Die Vision eines geeinten, freien und demokratischen Deutschlands und Europas schien zum Greifen nah und unaufhaltsam. Doch mit dieser Freiheit kam eben auch eine Verantwortung, die damals niemand so recht zu Ende gedacht hat.

Mehr…

Dankesrede von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey

Wir dürfen nicht warten, bis ein anderer anfängt – ansonsten wird es zu spät sein. So lautet sinngemäß der Appell an die Bürgerinnen und Bürger im ersten Flugblatt der Weißen Rose. Das Flugblatt wurde im Juni 1942 in München versandt. Zu einer Zeit, als es schon lange zu spät war. Zu spät, um den «unersättlichen Dämon» des Nationalsozialismus zu verhindern.

Zu-spät-zu-Sein spricht die Gewissheit aus, dass vieles unwiederbringlich verloren ist, viele unwiederbringlich verloren sind. Zu-spät-zu-Sein kann aber ebenso ein Weckruf sein, dass es noch nicht zu spät ist: Vieles, aber noch nicht alles ist verloren; viele, aber noch nicht alle sind verloren. Doch es ist nur dann nicht zu spät, wenn wir nicht auf das Ende warten, sondern wenn wir selbst es sind, die das Unheil beenden. Die Geschwister Scholl sind tragische Kinder der Demokratie, die an ihre Zukunft geglaubt haben, und denen die eigene Zukunft geraubt wurde. Für sie war es zu spät.

Thomas Mann gedachte in seiner Radioansprache Deutsche Hörer! im Juni 1943 an sie: «Brave, herrliche junge Leute! Ihr sollt nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein.» Der Tod der Geschwister Scholl ist eine Mahnung an die Lebenden, ebenso wie an das politische Leben. Hans und Sophie Scholl waren zunächst beide überzeugte Mitglieder der Hitlerjugend. Ihr moralisches Gewissen und die Erfahrungen des Krieges ließen sie aber vom Nationalsozialismus abkehren. Ihr Leben mahnt an uns Nachgeborene: Eine Umkehr im eigenen Leben ist möglich, ein politischer Wandel ist machbar.

Mehr…

Impressionen